Böhm-Chronik
Der Beginn des Leinengewerbes in Schlesien
Von Joachim Engelmann
Die ersten urkundlichen Belege über das Vorhandensein
eines Leinengewerbes in Schlesien stammen vom Ende des 16. Jahrhunderts
und dem Anfang des 17. Jahrhunderts. Im 14. und 15. Jahrhundert stand
dagegen das aus Flandern verpflanzte Tuchmacher-Handwerk in großer Blüte.
Die rege Nachfrage niederländischer und englischer Abnehmer, die in allen
bedeutenderen Städten Schlesiens Faktoren unterhielten und die gegen
Barzahlung erworbene Ware über ihre heimischen Exporthäuser nach Amerika
und Afrika verschickten, ermuntert die Entstehung eines besonderen
Leinengewerbes, das bis etwa zum Jahre 1800 in Spinnerei und Weberei
hauptsächlich Hausfleiß und Nebenerwerb von Frauen und Kindern,
Kleinbauern, Landarbeitern und Soldaten war. Erst der Aufschwung des
Leinenhandels führt dann zum Übergang in eine fabrikmäßige Herstellung.
Die rechtliche Genehmigung der Leinenweberei in der Dörfern wird auch erst
gegen Ende des 16. Jahrhunderts erteilt, so für die Grafschaft Glatz
seitens der Ritterschaft im Rudolphinischen Vergleich von 1590, für die
meisten Städte des übrigen Schlesien überhaupt erst nach dem
Dreißigjährigen Kriege. Bis dahin bildet Jauer den Mittelpunkt des sich
entwickelnden Gewerbes. Die Weber bringen aus den nahe gelegenen
Gebirgsdörfern ihre fertigen Erzeugnisse in die Stadt; die Bürger, die
selbst Garn- und Leinenhandel in kleinem Umfange betreiben, kaufen die
Ware auf und appretieren sie auf städtischen Bleichplätzen. 1601 und 1604
tauchen die ersten gewichtigen Klagen der schlesischen Kauf- und
Handelsleute beim Kaiser über die unlautere Konkurrenz der Niederländer
auf; man wirft ihnen vor allem Steuerhinterziehung und Verführung der
Frauen vor und fordert für die fremden Kaufleute einen erhöhten
Ausfuhrzoll und Aufenthaltsbeschränkungen. 1622 greift die Stadt Jauer zur
Selbsthilfe und beschränkt von sich aus das Handelsrecht der Fremden. Die
Verwüstung der Stadt im Dreißigjährigen Kriege führt zur Abwanderung der
Wohlhabenden, zur Vertreibung der ausländischen Faktoren und zur
Verlagerung des Leinenhandels aus der Ebene in die holzreicheren
Gebirgstäler, weil das Bleichen große Mengen von Brennholz erforderte:
Landeshut, Schmiedeberg und Bolkenhain gewinnen an Bedeutung. Die
schlesischen Händler senden jetzt die Ware auf eigene Rechnung zu den
Hafenplätzen, vor allem Hamburg. Nur der Name "Jauersche Leinwand"
erinnert noch an die einstige Bedeutung der Stadt.
Neben Jauer
entsteht in Hirschberg und im Hirschberger Tal seit 1560 das Zentrum einer
der wichtigsten Leinenarten Schlesiens, der ursprünglich aus Holland und
Frankreich übernommenen Schleierweberei. Kaiser Ferdinand II. gewährt am
30. September 1630 von Regensburg aus der Stadt dafür ein Monopol. Ebenso
erhält Greiffenberg am Anfang des 17. Jahrhunderts unter dem Bürgermeister
Matthias Rothe eine gewisse Bedeutung für den Leinenhandel: 1609 zählt die
Stadt bereits sechs Handelshäuser und versendet im gleichen Jahr für 25
220 Taler Leinwand. Kaum dreißig Jahre später, im Jahre 1638, hält es
Ferdinand II. zum Schutze des sich stärker entfaltenden Gewerbes und zur
Erschließung einer neuen Einnahmequelle für erforderlich, auf je einen
Taler Ausfuhrwert schlesischer Leinenwaren einen Kreuzer Ausfuhrzoll zu
erheben.
Leopold 1., seit 1658 Kaiser, versucht, das menschenentleerte
Land wieder zu bevölkern, neue Ruhe und Ordnung zu schaffen, Handwerker
und Kaufleute heranzubilden und Absatzräume für das schlesische
Leinengewerbe zu erschließen. Unter ihm gewinnen die merkantilistischen
Wirtschaftspolitiker J. J. Becher, Sohn eines evangelischen Pfarrers aus
Speyer, und dessen Schwager Ph. W. v. Hörnigk als Ratsmitglied des von ihm
angeregten und 1666 errichteten Kommerzkollegiums bedeutenden Einfluß, so
dass die bisher erhebliche Garnausfuhr Schlesiens nach Süddeutschland und
Holland eingeschränkt und der Versuch unternommen wird, die
landwirtschaftliche Erzeugung, vor allem den Flachsanbau, durch
gebietsweise Bevorratung und eine Preisgarantie zu steigern. Die Einfuhr
von Kamelhaar und Baumwolle sollte sogar völlig verboten werden, der Staat
die überschüssige Leinwand aufkaufen und ihre Ausfuhr kontrollieren.
Aber immer noch mangelt es dem schlesischen Leinen an Güte.
Gegenseitige Betrügereien der Erzeuger und Händler führen 1660, unter dem
10. Juli 1686 durch den Landeshauptmann der Fürstentümer Schweidnitz und
Jauer und am 16. Januar und 9. Dezember 1699 wie auch am 12. Mai 1701 zu
scharfen kaiserlichen Verordnungen hinsichtlich einer reellen Herstellung
und Lieferung von Garn und Leinwand unter Androhung von Haft,
Landesverweisung, Prügelstrafe und Beschlagnahme der Ware. Doch solange
eine Behörde fehlt, die ein Überwachungsrecht besitzt und notfalls Zwang
anwenden kann, bleibt alles beim alten. Die Güte des Leinen leidet aber
auch durch die Kälte, Regen und Schnee der Winterbleiche. Daher wird mit
Verordnung vom 22. Januar 1653 und im Jahre 1655 jede Bleichauslage von
Oktober bis Mitte Februar des Jahres untersagt. Ebenso erschwert der
ständige Holzmangel die Aufrechterhaltung der Bleichen. Das Verbot des
Pottaschebrennens von 1649 ergeht also im Interesse des Leinengewerbes.
1651 und 1691 ermuntert die Regierung die Weber zur Nachahmung
bestimmter französischer Leinenarten, um auf dem spanischen Markte
wettbewerbsfähig zu bleiben. Bei all diesen Maßnahmen zur Hebung des
schlesischen Leinengewerbes zeigt sich immer wieder, wie sehr die
geringsten statistischen Angaben für eine durchgreifende organisatorische
und konjunkturmäßige Lenkung fehlten. Nachdem derartige Erhebungen im
Dezember 1665 und im Januar 1666 völlig fehlgeschlagen sind, gehen auf die
kaiserliche Verordnung vom 21. Oktober 1698 aber doch siebenundzwanzig
Berichte beim schlesischen Oberamt ein, die Mitte 1699 zur Einsetzung
einer Kommission der Breslauer Kammer führen. Sie erhält den Auftrag, die
wichtigsten Mißstände in Gestalt schlechter Straßen, fehlender
Niederlagen, überhöhter Zölle und überlebter Privilegien, von
Zunftmißbräuchen, religiösen Diffamierungen von Nichtlkatholiken,
mangelhafter Koordinierung der Märkte und Messen, uneinheitlicher Geld-
und Meßwerte zu beseitigen. Endlich soll ein oberstes Handelsgericht
eingesetzt werden. Aber auch dieser Anlauf verläuft infolge zu weit
gesteckter Ziele im Sande.
So entstehen bereits 1658 in Hirschberg und
1677 in Landeshut als Selbsthilfe und Selbstkontrolle der Kaufmannschaft
eigene Korporationen und Gilden der Leinwand- und Schleierhändler, die
gemeinsam mit dem Rat der Städte die notwendigen Maßnahmen zur
Sicherstellung einer gleichbleibenden Qualität der Ware und zur
Weiterentwicklung des Leinengewerbes treffen. In den letzten
Regierungsjahren Leopolds richtet die Regierung endlich eine eigene
Handelsbehörde, das "Merkantil- oder Commerz-Kolleg", ein und führt am 6.
April 1705 allgemein für ganz Schlesien das einheitliche Breslauer Maß und
Gewicht ein. Diese Schritte fördern die mühsame Entwicklung des
Leinengewerbes wesentlich, während der Versuch, durch verschiedene
Verordnungen vom 14. Juni 1708 bis zum Jahre 1716 einheitlich eine
Beschränkung auf die einellige Weile zu erreichen, gänzlich mißlingt.
Um eine Drosselung der Ausfuhr an minderwertigem Packgarn und feinem
Lotgarn, die den umfangreichen schlesischen Garnhandel schädigt, zu
erzielen, wird auf Vorschlag des Merkantilkollegs mit dem 22. März 1717
den Zollämtern die Überprüfung aller zur Ausfuhr gemeldeten Garne
übertragen und ihre strenge Handhabung zur Pflicht gemacht. Wie die
Wiederholung der Verordnung im Jahre 1719 und am 25. Januar 1721 beweist,
ist sie nur mit Mühe durchzusetzen. Hätte man sich entschließen können,
jede Garnausfuhr zu verbieten, wäre die Überschussproduktion in Schlesien
von selbst erloschen. 1714 setzte sich Professor Marperger als Hofrat der
Herzogin Sophie v. Württemberg in Oels mit seinem Buch "Schlesischer
Kaufmann" für den Ausbau der Weberei ein, die mehr Menschen ernähre und
höhere Löhne abwerfe als der Garnhandel überhaupt Gewinne einbringe. Daher
sei jede Garnausfuhr zu verbieten. Das Merkantilkolleg befragt die
Hirschberger und Landeshuter Kaufmannschaften, worauf das Zollmandat von
1718 zwar jede Ausfuhr von Flachs, Hanf und Werg untersagt, jedoch die
Einfuhr von Flachs und Garn völlig freigibt. Dagegen erhebt die Breslauer
Kaufmannschaft beim Kaiser schärfsten Einspruch: Der gewinnbringende
Flachsund Garnhandel würde erlöschen und Tausende von Spinnern zur
Auswanderung nach Polen nötigen. Schlesien müsse nun einmal Garn
ausführen, da die Zahl seiner Spinner etwa fünfhundertmal so groß sei wie
die der Weber. Sobald das Land durch den Aufbau von Webereien imstande
wäre, all sein Garn selbst zu verarbeiten, werde man von sich aus ein
Ausfuhrverbot für Garn fordern. So wird am 3. Dezember 1721 der
Ausfuhrzoll für Garn und Zwirn geringfügig herabgesetzt.
Bereits seit
1698 fordern verschiedene schlesische Städte eine Kontrolle der Weber
durch Nachmessen der von ihnen hergestellten Leinenstücke das heißt die
Einführung des ‚Schauwesens'. Die fortschrittlichen Textilstädte
Hirschberg und Landeshut kennen sie schon seit Mitte des 17. Jahrhunderts
oder haben sie 1720 eingeführt. Eingehend und lange erwägt das
Merkantilkolleg diese Frage und holt sogar die Meinung des Hamburger Rates
hierzu ein, der unter dem 26. März 1718 vorschlägt, jedes Leinenstück mit
dem Namen des Webers und dem tatsächlichen Maß zu versehen. Der
versendende Händler sollte dann seinen Namen dazusetzen. Im Dezember 1718
vom Merkantilkolleg dem Breslauer Oberamt, von diesem im Frühjahr 1719 dem
Kaiser vorgelegt, ergeht 1724 die grundlegende Gewerbeordnung als
"Leinwand- und Schleyerordnung im Herzogthum Ober- und Niederschlesien":
Sie verbietet jede Flachsausfuhr und erschwert die Garnausfuhr. Dörfliche
Händler dürfen höchstens mit Lizenz der städtischen Händler ausführen,
sonst überhaupt nicht mehr. Die "Schau" wird verpflichtend eingeführt;
jeder Weber muss seine Ware vor dem Verkauf vom Schaumeister prüfen und
siegeln lassen, den Magistrate und Grundherren ernennen, Er darf schlechte
Stellen der Leinwand einfach herausschneiden. Die Länge der Leinwand wird
vorgeschrieben, zu geringe Breite bestraft. Der Weber darf aber auch die
Garnpakete vor dem Kauf zur Prüfung aufbinden. Faktoren und Großhändler
dürfen nur noch gelernte Leute sein. Weiter regelt die Verordnung das
Schneiden und Walken der Leinwand, ordnet die Frage der Bleiche, gibt den
Webern Verfahrensanweisungen und den Inspektoren, Garnsammlern,
Leinwandeinkäufern und Maklern Rahmenbestimmungen für ihre
Gewerbeausübung. Vor allem werden sie zu besonderem Verständnis für die
Weber verpflichtet, weil "mehr als zur Genüge bekannt, wie klein und
mühselig sich der arme Weber durchbringen und den Seinigen das saure
Bissen Brot erwerben müsse".
Nachdem man im Jahre 1718 die Ausfuhr
gebleichten Garnes nahezu unterbunden, dagegen die Ausfuhr weißer Leinwand
erst auf sechs, dann auf weitere drei Jahre völlig freigegeben und den
Unternehmern jahrelang Freiheit von allen Lasten, Vorrechte und
unmittelbare Unterstellung ihrer Fabriken unter das Merkantilkolleg
zugesagt worden war, finden sich die Kaufleute Glafey für Hirschberg,
Buchs für das Fürstentum Glogau und Latzke für Schmiedeberg als erste
Unternehmer einer Verwebung weißen Garnes, der sogenannten Creas-Weberei.
1719 folgen ihnen zwei Kaufleute aus Neustadt (Oberschlesien) denen sich
der Magistrat der Stadt 1727 anschließt, mit kaiserlichen Privilegien und
Zollfreiheit eine eigene Creasindustrie aufzubauen, die rasch aufblüht und
1733 immer noch über 110 Stühle in Gang hält.
Da die Leinwandordnung
von 1724 auf die Dauer nur geringen Erfolg zeigt, erwägt die Regierung
neue Maßnahmen: Die Betrügereien im Garnhandel waren nicht verschwunden.
Die Inspektoren wehrten einseitig den Vorteil der Kaufleute und
kontrollierten die Weber scharf und bestraften sie. Die Schau wirkt sich
nur zugunsten der Kaufleute aus. So wird am 14. Januar 1726 von der
Regierung jedes Garnsammeln grundsätzlich verboten. 1731 beschweren sich
die Grundbesitzer und Gutsherren im Landeskolleg, die untertänigen Weber
würden selbst bei Versehen hart bestraft, so dass oft die ganze Familie
zugrundegerichtet werde und die Weber außerstande gesetzt seien, dem
Gutsherren die Abgaben zu zahlen. So befürwortet das Merkantilkolleg 1738
eine Revision der Leinwandordnung und ihre Neueinschärfung, während das
Oberamt hierfür von allen Seiten Gutachten einfordert. Diese Akten werden
im Frühjahr 1740 einer Beamten-Kommission vorgelegt, die bald die
Kaufleute Glafey und Lieres aus Hirschberg, Latzke aus Schmiedeberg und
Fischer aus Landeshut als Sachverständige heranzieht. Hierbei stellt sich
wieder heraus, dass jegliches statistisches Material über Aus- und
Einfuhr, Zolltabellen, Verzeichnisse der Weber und vorhandenen Webstühle
sowie Unterlagen über den Umfang der Erzeugung immer noch fehlen. Der
Hauptfehler der früheren Maßnahmen liege in der mangelhaften Information
das Gesetzgebers und darin, dass jede Maßnahme parteiisch zugunsten des
einen Teiles den anderen geschädigt habe. Ohne sachkundige Prüfung der
Verhältnisse beider Seiten an Ort und Stelle könne es nicht anders
werden.
Im Sommer 1740 reisen der Vizepräsident des Merkantilkollegs,
Graf v. Schaffgotsch, sein Sekretär und der Kaufmann Lieres in die
Hauptsitze des schlesischen Leinengewerbes und in die zugehörigen
Gebirgsdörfer. Die meisten Beschwerden der Weber und Leinenarbeiter
beziehen sich auf das Verhältnis der Kaufleute zu ihnen, weil diese als
Vermittler des Absatzes den Erzeugern jede Bedingung diktieren können.
Daneben wird die Benutzung einer zu kurzen Weife, das schlechte Garn und
die vielfach ungerechten Strafen der Schaumeister beanstandet. Die Weber
mussten ihre Ware auf den Leinwandmärkten in den größeren Gebirgsstädten
um jeden Preis losschlagen, solange sie nicht wohlhabend waren, um dem
Händler gleichberechtigt entgegentreten zu können. Unter den Ring
umgebenden offenen Laubenhellen saßen auf hohen Stühlen die Kaufleute; vor
ihnen drängten sich die Weber und boten schockweise ihre Leinwand an. Der
Kaufmann prüfte flüchtig die Ware, bot einen Preis, um dann mit Kreide den
Namen des Webers auf die Leinwand zu schreiben, falls sich etwa ein Fehler
darin fände. Diese Schrift war nur mit Mühe auswaschbar, wozu dem Weber
die Zeit fehlte. Wenn die Händler nur jedes brauchbare Stück mit Kreide
zeichneten und untereinander jede Konkurrenz ausschlossen, waren die Weber
völlig in ihren Händen. Die Leinwandordnung hatte dieses Verfahren zwar
verboten, aber umsonst. Dieses Vorgehen der Händler findet die stärkste
Kritik der rechtlosen Weber. Der Abschlußbericht der Kommission vom 27.
September 1740 kommt zu der Feststellung: Das Leinengewerbe sei eine so
verzwickte Sache und örtlich so verschiedenartig gelagert, dass eine
gleichmäßige Behandlung unmöglich und lediglich eine Abstellung einzelner
Beschwerden möglich sei. Es ergeht eine Verordnung, die das Beschreiben
der Leinwand und ähnliche Missbräuche verbietet und die Behörden anhält,
auf richtiges Garn zu achten.
Der Weber erhält für des Weben eines
Schocks Leinen fünfzehn bis zwanzig Groschen. Da diese Arbeit fünf und
mehr Tage in Anspruch nimmt, beläuft sich sein Tagelohn auf kaum fünf
Groschen, das entspricht etwa einer Mark heute. Nur die Schleier- und
Creasweberei wirft besseren Lohn ab. Das Spinnen bringt täglich überhaupt
nur Pfennige ein und kann daher nur als Nebenverdienst betrieben werden,
zumal das Spinnrad damals im Volke so gut wie unbekannt ist. Wo die
Weberfamilie ausschließlich vom Leinengewerbe leben muss, ist die Not als
Folge geringfügiger Schicksalsschläge sehr groß. Jede Möglichkeit, ein
anderes Gewerbe zu ergreifen, sich wieder hochzuarbeiten, ist ihnen
genommen: Die Kinder spulen und spinnen, sobald sie nur dazu imstande
sind; kaum sind ihre Arme kräftig genug, müssen sie weben lernen und
mitverdienen. Nur besondere Glücksumstände oder Energien und Talente
können diesen Bann durchbrechen. Die Kaufleute verfolgen mit blindem Hass
jeden, der euch nur versucht, ihre Monopolstellung zu erschüttern und ohne
ihre Vermittlung Waren im Auslande abzusetzen. So werden die Kaufleute,
von denen nicht wenige Adelsgeschlechtern Schlesiens abstammen, immer
reicher. 1741 gibt es allein in Hirschberg, Schmiedeberg, Landeshut und
Greifenberg 110 sehr wohlhabende Leinwand- und Garnherren. Die Ausfuhr aus
Hirschberg beträgt im Jahre 1740 an gebleichter Leinwand 1,5 Millionen
Taler, an Rohleinwand rund 170 000 Taler. Die Holländer bezahlen nur zum
Teil bar und liefern oft Kolonialwaren im Austausch, so dass die
schlesischen Exporteure meist noch ein Kolonialwarengeschäft nebenbei
besitzen, wenn sie nicht vorziehen, diese Waren weiter nach Polen und
Ungarn zu verkaufen.
Je mehr Holland und England im 17. Jahrhundert
ihre Zölle erhöhen, desto stärker wird Hamburg zum eigentlichen Hafenplatz
Schlesiens. Ja, die Hamburger Kaufleute veranlassen die Schlesier zur
Nachahmung französischer Leinensorten um in Afrika bessere Geschäfte zu
machen. In der Auseinandersetzung zwischen Hamburg und König Christian IV.
v. Dänemark um den Elbzoll von 1629 bis 1645 tritt Kaiser Ferdinand II. im
Westfälischen Frieden für Hamburg ein, um seinen schlesischen
Leinenhändlern den wichtigsten Ausfuhrhefen offen zu halten. Von Hamburg
aus geht das Leinen vor allem nach Holland, England und Spanien, bis gegen
1720 und 1738 die irische Leinenindustrie stark genug ist, sich
abzuschließen und ab 1725 die französische Konkurrenz die Ausfuhr
schlesischen Leinens über spanische Häfen, vor allem Cadiz, nach
Südamerika immer mehr erschwert. Der Leinenabsatz nach Polen, Ungarn und
Böhmen bleibt unbedeutend, während nach Wien, Triest und der Adria immer
eine erhebliche Menge Leinen geht, obwohl es durch viele Binnenzölle sehr
behindert wird.
Kaum hat Friedrich der Große Schlesien gewonnen, lässt
er eine geregelte Verwaltung einrichten unter dem Geheimen Finanzrat Graf
von Münchow. Zwei Kriegs- und Domänenkammern in Breslau und Glogau führen
seine Maßnahmen durch. Der Sturz der österreichischen Verwaltung
vernichtet manche mühsam errungene Einrichtung zugunsten des
Leinengewerbes, der Anschluss an Preußen zerreißt die vielen Verbindungen
an das österreichische Nachbarland und führt zu einer Absatzstockung. Der
König zieht sofort gründliche Erkundigungen über das Leinengewerbe und
'seine Sorgen ein durch Vernehmungen der Glogauer Kammer und Reisen des
Grafen v. Münchow im Frühjahr 1742. Friedrich versucht, die
Handelsstockung durch Wiederöffnung des Außenhandels und Beseitigung der
Tarifänderungen in Schlesien zu überwinden. In den Friedensverhandlungen
am Ende des 1. Schlesischen Krieges lässt er sich den ungeminderten Absatz
schlesischer Waren nach Böhmen und Osterreich garantieren. Ebenso fördert
er den Ausbau von Elbe und Oder und eine Senkung ihrer Zölle, um den
schlesischen Leinenhandel eine Benutzung dieser Ströme zu erleichtern. Am
8. April 1742 richtet der König eine vierteljährliche Konferenz der
Leinenkaufleute aus den vier Gebirgsstädten als geordnete Vertretung der
Interessen der Industrie zunächst unter dem Vorsitz des Hirschberger
Bürgermeisters, später unter dem Landrat ein. Daneben schafft er das
Commerzkolleg mit den führenden Breslauer Kaufleuten unter Vorsitz des
Kammerdirektors als Sachverständigen und Beratungskomitee der Behörden.
Beide Körperschaften müssen laufend an die Kammern Bericht erstatten,
beide Kammern zweimal monatlich an den König unmittelbar. An eine
Vertretung der Weber und Spinner ist damals noch nicht zu denken. Am 14.
Dezember 1741 bestimmt er jedoch, dass im Gebirge keine gewaltsamen
Aushebungen zum Militärdienst geschehen, und am 8. April 1742 erteilt er
die Anweisung, dass Weber und Spinner möglichst von der Einziehung befreit
bleiben sollen. 1742 entscheidet sich der König für die Errichtung eines
großen Getreidemagazins in Hirschberg, "welches jedoch einzig und allein
zur Unterhaltung der Spinner und Leinweber in teuren Zeiten dienen soll",
wie es in der Kabinettsordre wörtlich heißt. Um den gesetzlichen
Schwebezustand zu beenden, setzt eine Verfügung der Glogauer Kammer am 13.
April 1742 alle von 1708 an erlassenen Leinen- und Garnverordnungen der
eben abgelösten österreichischen Verwaltung wieder in Kraft und überträgt
ihre Durchführung der Polizei- und Zollbehörde. Damit bleiben sämtliche
Errungenschaften der vorpreußischen Zeit erhalten und werden bereits am
27. Juli 1742 in die neue "Leinwand- und Schleyer-Ordnung für Sr. Königl.
Majestät in Preußen Schlesische Lande und denselben incorporierten
Grafschaft Glatz" aufgenommen. Die gründliche, rationelle und
wirtschaftsfreundliche Staatsverwaltung Preußens führt das schlesische
Leinengewerbe bald einer ersten und zweiten Blüte entgegen.