Böhm-Chronik
Kaczmarek und andere polnische und polnischsprachige Zuwanderer im Ruhrgebiet 1875 - heute
Beitrag von Ursula Nordhorn über eine Ausstellung in Gelsenkirchen
Angefangen hat es erfolgreich 1997 in Essen, nach einem Wanderjahr durch Polen über Stettin, Allenstein, Beuthen und Posen ist die Ausstellung wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Hier einige interessante Auszüge aus dem Prospekt:
"Kaczmarek und andere" ist der Ausstellungstitel eines Projektes zur Förderung und zur Verbesserung der sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Menschen des Landes NRW und der Republik Polen.
Ausgehend von der Geschichte und Gegenwart des Ruhrgebietes - der Region, die wie keine andere in Deutschland so sehr durch polnische und polnischsprachige Zuwanderer, durch deren Arbeitskraft und ihre kulturellen Traditionen mitgeprägt wurde - versucht das Projekt des Essener Historikers Josef Herten, hier und in Polen gegen Nationalismus und Vorurteile zu wirken. Gerade im Zuge der EU-Erweiterung nach Osten versucht dieses Projekt, gute und dauerhafte Kontakte herzustellen.
Obwohl die politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Land NRW und der Republik Polen heute so gut wie nie zuvor sind, erscheint engagiertes Eintreten zur Verständigung zwischen den Nachbarvölkern weiterhin dringend notwendig. Das Bild vom Anderen ist auf beiden Seiten noch weitgehend von Unkenntnis, Vorurteilen und Ängsten geprägt.
Die preußisch-deutsche Teilungs- und Germanisierungspolitik des späten 18. und 19. Jahrhunderts, der Überfall deutscher Truppen auf Polen 1939, die rassistische Mord- und Versklavungspraxis der Natonalsozialisten während des 2.Weltkrieges, die Vertreibung eines Großteils der Deutschen aus dem Polen der Nachkriegszeit, und nicht zuletzt fast 50 Jahre nabezu völliger Abschottung durch den "Eisernen Vorhang" haben tiefe Spuren hinterlassen. Sie haben dazu geführt, dass das Deutschbild der Polen und das Polenbild der Deutschen - auch hier in NRW - noch weitgehend von Verletzungen und von Stereotypen aus der Vergangenhet bestimmt werden.
In den Telefon- und Adressbüchern der Städte und Gemeinden des Landes NRW und insbesondere des Ruhrgebiets kann man schon anhand unzähliger Hausnamen, die zum Beispiel auf -ski, -rek oder -schik enden, mühelos feststellen, dass ein Großteil der hier lebenden Menschen polnischer Abstammung sind. Zumindest stehen sie in irgendeiner genealogischen Beziehung zu Polen, aber das Spektrum ist äußerst heterogen. Es handelt sich um die Nachkommen von Polen, Masuren, Kaschuben, Oberschlesiern und Posenern, die einst als Arbeitsmigranten aus den damaligen preußischen Ostprovinzen hierher kamen, um polnische Zwangsarbeiter und Displaced Persons, um deutsche Flüchtlinge und Vertriebene - von denen viele außer Deutsch auch fließend Polnisch sprachen und sprechen -‚ um polnische Juden und Solidarnosc-Flüchtlinge und um deutsche Aussiedler sowie Spätaussiedler, von denen ebenfalls ein großer Teil zweisprachig ist. Millionen Angehörige der heutigen Ruhrgebietsbevölkerung wissen nicht, dass sie polnischer Abstammung oder Nachkommen von durch die polnische Sprache und Kultur ganz wesentlich mitgeprägter Vorfahren sind. Hunderttausende der Zuwanderer haben ihre Wurzeln so gründlich gekappt, dass sie ihren Nachkommen sogar ihre Herkunft verschwiegen. Abertausende änderten zusätzlich ihren Namen. Den Nachkommen kann es heute so ergehen wie Josef Herten, der erst als Jugendlicher per Zufall davon erfuhr, dass seine Großeltern einmal Herdlitzka hießen. Seine Großmutter war gebürtige Polin und der Großvater Tscheche.
Das alles zeigt auf, wie komplex und schwierig die Thematik ist. Es zeigt auch, welch großes Potenzial zur Verständigung und an Kontakten möglich erscheint, wenn man mit all den hiesigen deutschen und polnischen Menschen und Gruppen, die sie betrifft, zusammen daran arbeitet. Verschüttetes und Vergessenes soll öffentlich aufgezeigt, die unterschiedlichen Schicksale erfasst und vorgestellt, und die gemeinsamen Erfahrungen als tragfähige Brücke zur Verständigung ausgebaut werden.
Ein solches Projekt, das zahlreiche persönliche Erinnerungen, Interviews, Fotos und Quellen einbezieht, kann nur gemeinsam und als "work in progress" geleistet werden: Ein sich entwickelndes Werk über Jahre hinweg."