Böhm-Chronik




Reisebericht

Unsere 11. Reise nach Schlesien, Juni 2011


Diesmal ein Beitrag von Ernst Köpke



Tannhausen, neues Leben auf dem Schloss


Als 1895 Guido Wilhelm Köpke, der Bruder meines Urgroßvaters Karl Richard K. starb, gingen die „Amtsgeschäfte“ für Tannhausen, die er von 1872 bis zu seinem Tode geführt hatte, auf den damaligen Schloss-Besitzer, Rittmeister Gustav Böhm, über. Dieser hatte das vom Porzellan-Fabrikanten Carl Franz Krister 1861 gekaufte und von ihm vollständig umgebaute Schloss von dessen Nachbesitzern (von Klitzing) im Jahre 1889 erworben. Die Amtsgeschäfte wurden, wie bisher, im Schloss zunächst von Gustav Böhm weitergeführt.

Bis in die 1940er Jahre blieb das Schloss im Besitz der Familie Böhm, deren direkte Nachkommen heute in Namibia leben. Günter Böhm aus den USA, ein Urgroßneffe von Gustav Böhm, hat sich neben seiner intensiven schlesischen Familienforschung („Boehm-Chronik“) in sehr engagierter Weise mit dem Schloss und seiner Geschichte, mit Bad Charlottenbrunn und mit Tannhausen beschäftigt. Er wurde im Jahre 2009 Ehrenbürger von Jedlina Zdroj (Bad Charlottenbrunn). Darüber ist im WHB (August 2009) ausführlich berichtet worden. Das heutige „Böhm-Zimmer“ im Schloss ist nun eine Informations-Quelle für die Familienforschung und für junge Polen, die sich für die deutsche Vergangenheit von Nieder-Schlesien interessieren.

Das Schloss hat in den letzten 80 Jahren viel durchmachen müssen. Es wurde in der NS-Zeit Verwaltungssitz der Organisation Todt (OT, Stollen im Eulengebirge). Es war auch Gefangenen- und Flüchtlingslager, später Sammelstelle und Lagerplatz, es lebten sogar Griechen dort [Flüchtlinge des Griechischen Bürgerkrieges, 1946-49]; schließlich war es ein Kinderheim. In Gut und Brauerei gab es ebenfalls Veränderungen. Am Ende des 20. Jahrhunderts lebten nur noch wenige Menschen in einigen Räumen der ehemals so zahlreichen Gebäude. Der größte Teil der Bausubstanz war unbrauchbar geworden.

Doch seit etwa 10 Jahren hat sich viel getan, es geht erstaunlich gut vorwärts. Die Firma Leda&Leda (Elektronik-Branche) aus Jaworzno (süd-östlich Kattowitz) ist neuer Schlossbesitzer. Vater und Söhne Leda investieren persönlich nicht nur viel Zeit und erhebliche Summen in Wiederherstellung und Ausbau, sondern verstehen es auch sehr gut, ihr Schloss zu einem kulturellen Mittelpunkt der Region zu machen. Dazu arbeiten sie mit der Stadtverwaltung von Jedlina Zdroj und auch mit verschiedenen Universitäten sehr eng zusammen.

Mitte Juni 2011 fand auf dem Schloss der 4. Internationale Jugend-Wettbewerb zum Thema „Schlesische Burgen und Schlösser“ statt. Obwohl dazu Schulen aus Deutschland, Tschechien und Polen eingeladen werden, haben deutsche Schüler bisher leider noch nie teilgenommen. Die Schüler suchen sich Burgen oder Schlösser, über die sie arbeiten wollen, in Abstimmung mit ihren Lehrern selbst aus. Ihre Arbeiten werden dann von einem wissenschaftlichen Beirat beurteilt. Die Autoren der 25 besten Arbeiten kommen zur Endausscheidung in das Schloss. Dort erhalten sie neue Fragen zum Thema Burgen und Schlösser, zur Lage, den Familien und Wappen und zur Geschichte.

Diesmal war es ein spannendes Finale; die besten fünf Kandidaten waren derart beschlagen, dass dem Prüf-Professor beinahe die vorbereiteten Testfragen ausgingen. Ich selbst hätte bestenfalls zwei Fragen beantworten können, weil ich etwas über Schloss Tannhausen weiß und auch mit Caspar von Zedlitz aus Kynau als Fahrschüler in Schweidnitz in die Schule ging. Radio und Fernsehen haben ausführlich über dieses Treffen berichtet und die junge Siegerin gewann nicht nur eine Europa-Reise, sondern auch einen Projektor für ihre Schule. Auch die weiteren Sieger wurden reich beschenkt.

Dies alles ist möglich, weil sich Gemeinde und Privatpersonen in bemerkenswerter Weise für den Erhalt des Wissens aus der Vergangenheit Nieder-Schlesiens einsetzen. Dafür gibt es viele Beispiele: So hat Jedlina Zdroj sein Stadtwappen, das in den ersten Jahren in einfacher Form neu entwickelt worden war, jetzt wieder so verändert, dass es der alten Tradition entspricht. Das Schloss Tannhausen sieht heute von vorn besser aus, als ich es persönlich und von alten Postkarten kenne. Innen wird Raum für Raum ausgebaut und den baulichen Vorschriften entsprechend restauriert, eine teure und zeitaufwändige Maßnahme. Im Schloss findet man ständige Ausstellungen, die täglich von zahlreichen Besuchern aufgesucht werden. Dazu gehört eine umfangreiche Sammlung von Krister Porzellan, ein Raum als Mahnung/Erinnerung an die Zeit der OT, eine Sammlung von schlesischen Briefsiegeln, das Böhm-Zimmer für genealogischen Forschung und natürlich ein großer Festsaal.

Regelmäßig finden hier Veranstaltungen in lokalem und nationalem Rahmen statt, von Kursen und Konzerten über kommerzielle und wissenschaftliche Tagungen bis zu privaten Festen. So folgten dem Jugend-Wettbewerb wenige Tage später eine Tagung zum Thema „Im Dienste fremder Herrscher und Staaten, Wege zum Erfolg in Armee und Verwaltung“ (frei übersetzt), an der zahlreiche Professoren aus mehreren Ländern wissenschaftliche Referate hielten und diskutierten. Und selbst Kinder-Feste lassen sich im Schloss und außen feiern, ein kleiner Restaurantbetrieb macht's heute schon möglich.

Noch in diesem Jahr soll das neue Hotel auf dem Schloss-Gelände eröffnet werden. Die ehemalige Scheune des Dominium, in späteren Jahren auch als Kuhstall verwendet, ist bis auf die Außenmauern entkernt worden und erstrahlt in völlig neuem Glanz. Modern eingerichtet und mit guter Bewirtung wird man also bald auf dem Schloss-Gelände auch bequem wohnen können, mit herrlichem unverbaubarem Blick auf die Berge. Doch es gibt noch viel zu tun. Sowohl große Teile des Dominium, als auch die alte Brauerei sind nach wie vor Ruinen. Ich bin aber sehr zuversichtlich, hier geschieht noch viel.

Hotel Jedlinka

Die Gemeinde Jedlina Zdroj/Bad Charlottenbrunn, zu der Jedlinka/Tannhausen gehört, hat und macht weiterhin gewaltige Anstrengungen, eines der zentralen Erholungsgebiete des heutigen Nieder-Schlesiens zu werden. Schon vor einigen Jahren wurde eine Dreier-Gemeinschaft für Tourismus gegründet, Tajemniczy Trojkat, der neben Jedlina Zdroj auch Gluszyca=Wüstegiersdorf und Walim= Wüstewalterdorf angehören. Man plant gemeinsam und stimmt Termine von Veranstaltungen ab, investiert privat und offiziell (auch mit Geldern der EU) und publiziert sehr gutes Informationsmaterial. Kurz nach unserer Abreise begann in Jedlina Zdroj ein internationales Fest der Straßentheater, deren Aufführungen im alten Kurpark von bis zu 15.000 Personen gleichzeitig gesehen werden können. Ebenfalls wurde der neue Freizeitpark in diesen Tagen mit großem technischen Aufwand erheblich erweitert. Selbstverständlich ist alles im Internet zu finden; dort kann man sogar direkt Übernachtungen buchen, in Hotels, Familien-Erholungsheimen, Privathäusern und im Agrotourismus (auf Bauernhöfen).

In diesem Jahr nahmen als Gäste ganz oder zeitweilig an den offiziellen Besuchen und verschiedenen Einladungen Günter Böhm, seine Frau und sein Enkel aus den USA, Gerda Nürnberger geb. Scholz aus Mülsen, Wolfgang Friedrich mit Sohn Kersten aus Siegen/Berlin und wir teil. Herr Friedrich überreichte im Schloss der Gemeinde eine große Tafel, auf der ein altes farbiges Aquarell zu sehen ist, das ursprünglich für ein Werbeplakat von Bad Charlottenbrunn verwendet wurde. Dazu hat er aus alten Quellen Abbildungen und Beschreibungen damaliger Pensionen kopiert, die als Nummern auf dem Aquarell erscheinen. Das war eine sehr gelungene Überraschung für Bürgermeister und Ratspräsident.


Tafel (altes Werbeplakat von Bad Charlottenbrunn)


Im WHB hatte Günter Böhm bereits nach Beiträgen zur Büchersammlung für die kleine Bibliothek im Schloss gesucht. Bei dieser Reise konnten schon zahlreiche Bücher, Landkarten und Fotos übergeben werden, die mit großer Freude und Herzlichkeit aufgenommen wurde. Solches Material wird weiter gesucht. Wir würden uns über weitere Spenden von alter und auch neuerer Literatur zu Nieder-Schlesien, ganz gleich in welcher Form und Sprache, sehr freuen. Mit diesem Projekt möchten wir der heutigen Jugend dort helfen, zu verstehen, was und wie es früher in ihrer heutigen Heimat war. Ihre eigenen Eltern und Großeltern können ihnen dabei nämlich gar nicht helfen, denn sie wurden selbst dorthin umgesiedelt. Oft werden solche Bücher bei uns entsorgt, und im Schloss wären sie so nützlich.

Natürlich sind wir wieder durch das Waldenburger Bergland, das Eulengebirge und in die Sudeten gefahren. Nach über 40 Jahren Besuchsreisen muss ich immer wieder staunen, wie sich alles so schnell verändert. Jetzt habe ich allerdings beobachten müssen, dass es sich auch in Nieder-Schlesien häufig nicht mehr lohnt, alte Gebäude zu sanieren, denn – wie auch hier bei uns – ist ein Neubau oft die bessere Alternative. Und neue Häuser gibt es überall in Stadt und Land.

Wer sich ein besseres Bild machen möchte findet im Internet Information zu allen Fragen (z.B. www.jedlinka.pl ). Das ist allerdings für Polen gemacht und Übersetzungen sind dort noch relativ selten, und wenn, dann eher in Englisch. Doch beim persönlichen Besuch überrascht immer wieder die Offenheit und Freundlichkeit, mit der wildfremde Menschen reagieren. Mit 3 – 4 Worten polnisch, mit Händen und Lächeln, mit etwas Englisch bei den Jüngeren, und jetzt sogar ein paar Brocken deutsch, kommt man heute sehr gut klar (im Gastgewerbe geht's sogar in Deutsch). Die Mitgliedschaft in der EU hat wahre Wunder bewirkt. Kein Vergleich mit Besuchen in den 1960er und 1970er Jahren.

Stadtbesuch Jedlina Zdroj/Bad Charlottenbrunn, Juni 2011

Bochum, im Juni 2011

Ernst Köpke
Am Varenholt 32
44797 Bochum
0234-791728
ernst.koepke@gmx.de






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