Böhm-Chronik




Noch ist Schlesien nicht verloren

Reisebericht, Oktober 2002



Unsere diesjährige Schlesien-Reise führte durch Tschechien. Von München fuhren wir mit dem Linienbus nach Prag.

Am nächsten Tag (13.Okt.) weiter mit der Bahn ohne umzusteigen nach Waldenburg über Halbstadt und Friedland, meinem Geburtsort. Bei der Rückreise sagte mir ein freundlicher tschechischer Grenzbeamter: "Sie haben aber einen alten tschechischen Namen". Ich war ganz sprachlos und konnte nur murmeln: "Böhm: ja, sechshundert Jahre alt". Von Halbstadt bis Waldenburg lag 4 cm Neuschnee, allerdings nur für einen Tag. Landschaftlich besonders schön ist die Strecke von Friedland nach Langwaltersdorf. In Waldenburg-Altwasser wurden wir am Bahnhof vom Wirt der Pension Wanda (Bad Salzbrunn) abgeholt.

Am 14.Okt. Besuch des Archivs in Waldenburg. Wir wurden von den polnischen Bergbauhistorikern Dr.-Ing. Eufrozyna Piatek und Dr.-Ing. Zygfryd Piatek begleitet und dem Direktor des Archivs vorgestellt. Die katalogisierten Zeitungen "Waldenburger Wochenblatt" von 1889 lagen für mich bereit. Mein Ziel war, festzustellen, ob mein Urgroßvater 1889 wegen den in seinem Gasthof abgehaltenen Versammlungen anlässlich des Bergarbeiterstreikes im Mai 1889 verurteilt wurde (Sozialistengesetz). Er war nicht unter den Verurteilten.


Guenter Boehm und
Zygfryd Piatek
Okt.2002
Bei einem Festessen wurde mir am 15.Okt. die im April 2002 vom Polnischen Verband der Bergbauingenieure und Techniker 'SITG' verliehene Ehrenmedaille in Silber ausgehändigt. Die Gedenkmedaille “Stillegung der Steinkohlengruben in Waldenburg 1536 -1999” wurde als Anerkennung meiner Verdienste zur Förderung des Geschichtsbewusstseins des Waldenburger Steinkohlenbergbaus überreicht. Ich muß eingestehen, einer der schönsten Tage meines Lebens. Dabei bleiben unsere tragischen Jahre nach dem Kriegsende in Schlesien nicht vergessen. Wie sich doch die Zeiten geändert haben. Von den bisher vergebenen 33 Medaillen bin ich der vierte Deutsche. Ich erforsche die Geschichte der Kohlenbauernsippe Böhm im Gebiet des Dreiecks Weißstein, Hermsdorf und Dittersbach.

Am 16.Okt. unternahmen wir eine Ganztagesfahrt unter Führung des Deutsch sprechenden Wirtes unserer Pension, Zbigniew Szewczak. Die Fahrt ging über Weißstein nach Hermsdorf zur Böhm-Straße. Die 800 Jahre alte Eibe haben wir diesmal gefunden. Der Baum ist nur ein etwa 10 m großer Stumpf. Wir werden eben alle mal alt. Der Baum ist unter Naturschutz und steht unterhalb der Böhm-Lehne, auf dem Gelände des ehemaligen Gutes meiner Vorfahren. Wir fuhren weiter nach Schwarzwaldau, hatten aber Schwierigkeiten die Burgruine Schwarzwaldau (auch Ruine Liebenau genannt) genau auszumachen. Hier werden in Landbüchern von 1355 bis 1400 die Böhmen von Schwarzwaldau erwähnt.

Weiterfahrt über Konradswaldau (Geburtsort von George Schäl um 1690, Vorfahre mütterlicherseits) nach Grüssau. Im Kloster hatte wir eine deutschsprachige Führung. Besonders interessierte mich die Fürstengruft der Piasten. An dem Sarkophag Bolkos II. ist unter anderen das Wappen der Schaffgotsch (Ulrich Schoff) angebracht ist. Ulrich Schoff belehnte 1409 dem Heincze Behem mit einem Bauerngut in Weißstein.

Nach Erzählungen meiner Mutter (evang.) begleitete sie mit mir eine ältere stockkatholische Nachbarin 1943 zu einer Wallfahrtstour von Friedland nach Grüssau. Mutter und ich setzten uns im Klostergarten auf eine Bank und sahen der Prozession zu. Mutter erzählte immer, auf einmal wäre ich weg gewesen und sie sah mich murmelnd hinter den alten Frauen in der Prozession dahergehen. Die alte Nachbarin sah ich immer als meine Ersatz-Oma an. Alles belanglos, nur kleine Erinnerungen.

Von Grüssau Weiterfahrt in das Weberstädtchen Schömberg. Dort besuchten wir das Heimatmuseum der Hausweber (live). Ein sehr netter Herr, Deutsch sprechend, erklärte uns den Vorgang von der Flachsgewinnung bis zur Leinenherstellung. Deckchen und Tischläufer mit altschlesischen Mustern konnte man dort günstig kaufen. Das war ja etwas für meine Frau.

Wir fuhren dann über die Dörfer, die ich noch persönlich aus meiner Kindheit kenne, nämlich Raspenau, Rosenau nach Friedland und weiter nach Langwaltersdorf. Hier besuchten wir diesmal den Martin-Hof, das Gut meiner Urgroßeltern großmütterlichseits. Unser Reiseführer sprach mit dem Bauer und wir konnten uns den Hof von innen ansehen. Ein sehr schöner, sauberer und großer Hof, von allen vier Seiten mit Gebäude umgeben. Einfahrt durch ein großes Tor. Das Gut gehörte von ca. 1880 bis 1900 meinen Urgroßeltern Martin. Jetzt wird dort keine Landwirtschaft mehr betrieben, sondern es ist ein kleiner Manufakturbetrieb von Keramik, wie Kerzenhalter und ähnliche Sachen. Jedoch fehlt das Marketingwissen und die Artikel verkaufen sich nicht von alleine. Auf der anderen Strassenseite stehen immer noch die Gebäude des Gasthofes "Zur Stadt Wien". Im Besitz unserer Familie bis 1902.

Weiter ging unsere Fahrt nach Tannhausen, wo wir das Schloß und Rittergut meines Urgroßonkel aufsuchten. Während unser Reiseführer nach dem Mann mit dem Schlüssel zum Schloß suchte, durchstreifte ich den Hof des Rittergutes, wobei mich eine Katze zeitweise begleitete. Die Gebäude des Rittergutes sind in einem sehr schlechten Zustand; teilweise bewohnt, teilweise verfallen mit eingestürzten Dach. Das Äußere sowie das Innere des Schlosses dem Verfall ausgesetzt. Von innen wird es von sogenannten Investoren geplündert, ausgeschlachtet. Meine letztjährige Vermutung wurde mir diesmal von einem Kenner von Tannhausen bestätigt. Leider sind Familienangehörige dieses Zweiges der Böhm bzw. Bock oder Böck (geborene Böhm) nicht auffindbar.

Über Kynau und Reussendorf fuhren wir nach Waldenburg. Diese Privatfahrt von 9:00 bis 16:00 Uhr im Peugote Minivan neuester Bauart mit deutsch sprechendem Reiseführer kostete 60 Euros.

Durch meine Familiengeschichtsforschung habe ich viele nette hilfsbereite und fachkundige polnische Freunde gefunden. Aus dieser Forschung entwickelte sich ein gemeinsames Bekenntnis zur Kulturregion Schlesien, sowie eine gegenseitige Anerkennung zur schlesischen Heimat. Ganz einfach gesagt:

"Meine Heimat -- Deine Heimat!"


Inzwischen gibt es ja schon zwei bis drei Generationen polnische Schlesier. In Gesprächen stellte ich immer wieder fest, dass sich seit der Wende ein Heimatbewusstsein der jetzigen Schlesier entwickelt hat, in dem unsere altdeutsche Geschichte mit einbezogen ist. Ich auf jeden Fall bin der Meinung, wir können heute sagen:

"Noch ist Schlesien nicht verloren."


Jetzt liegt es an uns allen, das Bestmögliche daraus zu machen.



Guenter Boehm
200 Prospect St.
Herkimer, New York 13350
USA
www.boehm-chronik.com





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