Böhm-Chronik




Waldenburger in aller Welt
Günter Böhm, New York


(erschienen im Waldenburger Heimatbote, Mai 2013)



Auswanderung

Als meine Eltern und ich (als Neunjähriger) im Sommer 1948 von Friedland ausgewiesen wurden, hatte doch niemand eine Ahnung, wo man mal landen würde. Wir kamen über das Umsiedlerlager Löbau ins sächsische Bergbaugebiet nach Oelsnitz/Erzgebirge.

Mit achtzehn Jahren Flucht über Berlin in den Westen zu meinem zehn Jahre älteren Bruder.

1958 mit noch keine neunzehn Jahre nach Kanada ausgewandert mit "Arcadia" von Bremerhaven nach Montreal, zehnTage Seereise. Die Überfahrt wurde mir vom kanadischen Konsulat leihweise bezahlt. Dann ging das Abenteuer weiter. Ich arbeitete im Strassenbau in den Rocky Mountains zwischen Jasper und Banf.

Von April bis November 1959 Motorradreise mit einer 150ccm BSA von Vancouver nach Whitehorse am Alaska-Highway, danach durch den Westen Kanadas, durch die USA, Mexiko bis Guatemala. Verkauf des Motorrades in der Hauptstadt Guatemalas. Den Schlager "Heimatlos" (Freddy Quinn) habe ich oft während meiner Reise gesungen.

Per Esel, zu Fuss, mit Boot, mit LKW und Bus letzter Klasse (mit Indios, Hühnern und sonstigem) nach Merida in Mexiko. Ich wollte zurück nach Hause. Von der Isla Mujeres in der mexikanischen Karibik wollte ich nach Havanna auf Kuba. Ich hatte erfahren, dass man von dort auf einem Trampsteamer (Frachter auf Charterbasis) nach Europa kommen könnte. Das Vorhaben war jedoch, wegen der Castro-Revolution, nicht mehr möglich. Auf der Isla Mujeres lernte ich am 1. Dezember 1959 meine Frau kennen. Sie war dort mit ihren Eltern und einer Reisegruppe aus Mexico City auf Urlaub. Ich suchte sie zwei Wochen später in Mexico City auf. Im Frühjahr mit dem Bus und mehreren Umsteigen zurück nach Kanada.

In Alberta arbeitete ich im Streckenbau (Extra-Gang) bei der Canadian Pacific Railway (Eisenbahn), dann in Ontario in der Tabakernte. Alles minderwertige Arbeiten für Einwanderer.

Ende 1960 zog es mich wieder nach Mexiko, wo wir im Dezember heirateten. Ich studierte fünf Jahre per deutschem Fernstudium Betriebswirtschaft und 1963 zogen wir nach Deutschland. Exportkaufmann bei der Daimler-Benz AG in Düsseldorf, Stuttgart und Frankfurt/Main. In den letzten Jahren Handlungsbevollmächtigter mit Dienstwagen.

1976 nun mit eigener Familien (drei Söhne) zog es uns wieder nach Mexiko. Wir hatten dort von 1976 bis 1982 ein sehr gutes Geschäft, eine vorzügliche Pension in einem guten Stadtviertel. Man nannte es auch das "Gästehaus der deutschen Industrie". Ich organisierte Expeditionen in die mexikanische Wildnis für deutsche Individualtouristen.

Als die Wirtschaft in Mexiko 1982 bergab ging, suchte ich in den USA Immobilien (Renditeobjekte). Durch die vorteilhafte Finanzierungsmöglichkeiten in den USA kaufte ich zwei Mobile Home Parks (insgesamt 62 Mieter) in Upstate New York, 100 km östlich von Syracuse, wo wir seit 1983 wohnen. Die Immobilien wechselten, aber mit den gleichen Aufgaben. Mit der Cowboy-Mentalität der amerikanischen Unterschicht komme ich zurecht. Das Geschäft (Appartmenthaus mit 60 Einheiten) hat jetzt einer unserer Söhne übernommen.

Wir sind nun Auszügler (schlesische Form des Altbauern), wohnen miet- und kostenfrei und helfen bei der Ernte. Wir reisen viel nach Mexiko sowie nach Deutschland und Schlesien und besuchen Konferenzen zum Thema Schlesien und Familiengeschichtsforschung. In den USA sind mir die Schwenckfelder in Pennsylvania bekannt. Eine protestantische Sekte, die ursprünglich aus der Liegnitzer Gegend stammt.

Fazit: Ein bewegtes Leben. Mit dem Kopf bin ich in Amerika, mit dem Herzen in Schlesien.


Nun zu Schlesien:

Seit 1999 intensive Forschung der Geschichte unserer Familie, vom 16. bis 19.Jahrhundert Kohlenbauern und Kuxeninhaber in Weissstein, Hermsdorf und Dittersbach. Als Anerkennung meiner Verdienste zur Förderung des Geschichtsbewusstseins des Waldenburger Steinkohlenbergbaus wurde mir im April 2002 vom polnischen Verband der Bergbauingenieure und Techniker ‘SITG’ die Ehrenmedaille in Silber verliehen.

Mithilfe von kompetenten deutschen und polnischen Chronisten und Historikern Vertiefung in die Familienforschung und damit in der Heimatforschung.

Am 14.September 2007 war die feierliche Eröffnung der Böhm-Kammer im Schloss Tannhausen/Jedlinka. Ein kleines Archiv zur Böhm'schen Familiengeschichte in Schlesien. Am 26. Juli 2008 Eröffnung der permanenten Ausstellung unserer Familiengeschichte im Schloss Tannhausen / Palac Jedlinka. Vier Poster in repräsentativen Rahmen sind an den Wänden der Eingangshalle angebracht. Das Schloss mit Rittergut gehörte von 1889 bis 1945 der Familie Gustav Böhm, Urgrossonkel von Günter Böhm. Familientreffen mit Mitgliedern der direkten Linie (jetzt in Namibia). Die handgeschriebene Chronik des Dominium Tannhausen, einschliesslich der Familie Gustav Böhm, wurde von Irmgard Böhm (Urgrossenkelin von Gustav Böhm) den neuen Schlossbesitzern, der Familie Leda, übergeben.

17. April 2009: Der Rat der Stadt von Jedlina-Zdroj (Bad Charlottenbrunn) wählte einstimmig Günter Böhm zum Ehrenbürger. Leitspruch von Cicero, in freier Übersetzung: "Geschichte - Zeuge der Zeit, Licht der Wahrheit, Leben der Erinnerung, Lehrer des Lebens, Bote der Zukunft." Die Zeremonie dazu im Juni 2009 im Schloss Tannhausen.

Seit 2009 Gremiumsmitglied der Ehrenschirmherrschaft der Internationalen Schülerwettbewerbe "Schlesische Schlösser und Paläste". Wir Schlesier - Polen, Tschechen und Deutsche - bemühen uns gemeinsam, die 500-jährige Geschichte (1350-1850) der Grundherrschaften (ländliche/dörfliche Selbstverwaltung unter Führung des niederen Landadels) in die richtige gesellschaftsgeschichtliche Stellung zu rücken. Ihre Aufgabe in der Geschichte wurde oft fälschlich interpretiert und erst nach der Wende (1990) erfolgte eine gewisse Neubetrachtung.

Am 9.September 2010 Vortrag über Familien- und Heimatgeschichte von Günter Böhm im Palac Jedlinka (Schloss Tannhausen) an die Schüler des Gymnasiums und der Schule von Jedlina-Zdrój (Bad Charlottenbrunn).

Mein Ziel: Förderung der Heimatgeschichte in der polnischen Jugend. Damit wird auch die Familiengeschichtsforschung erfasst und die Jugend erfährt, woher ihre Vorfahren kamen. Wir Schlesier - Polen, Tschechen und Deutsche - sollten versuchen unsere Geschichte, auch unsere Zeitgeschichte, mit gegenseitigem Respekt "gemeinsam" zu schreiben; es ist nämlich unsere gemeinsame Geschichte.

Dank unserer polnischen Freunde können wir für uns heute sagen: "... noch ist Schlesien nicht verloren!" Ein schönes Gefühl, denn die Geschichte unserer Familie ist seit aller Ewigkeit mit Schlesien verbunden. Seit 1329.

Mehr unter: Böhm-Chronik
www.boehm-chronik.com
Günter Böhm


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