Böhm-Chronik
Auszüge aus "Daisy von Pless: Fürstliche Rebellin"
von W. John Koch3>
Sozialpolitische Analysen zur Bevölkerung des Waldenburger Reviers
Um ein besseres Einfühlungsvermögen in die Zeiten meiner Vorfahren im 19.Jhd. zu erhalten, nachstehend einige treffende sozialpolitische Analysen zur Bevölkerung aus der zweiten Hälfte des 19.Jhd., speziell aus dem Waldenburger Bergland:
"Zu dieser Zeit verkörperte der Adel, das Offizierskorps, das Grossbürgertum und das Beamtentum das junge Deutsche Kaiserreich... Die Identifizierung mit dem Fortschritt und der Macht des Kaiserreiches übertrug sich jedoch nicht auf die Arbeiterklasse, die sich in den Gewerkschaften und vornehmlich in der als nicht kaisertreu angesehenen Sozialdemokratischen Partei organisierte."
"Arbeiter, Kleinbürgertum und Grossbürgertum lebten in streng getrennten Wohnvierteln, und das Erziehungssystem trennte die Kinder spätenstens mit dem zehnten Lebensjahr, in dem die Kinder der oberen Schichten in das höhere Schulsysthem überwechselten."
Von Hauswebern zu Webereien
"Die erste Welle der Industrialisierung vernichtete in Schlesien eine Jahrhunderte alte Wirtschaftsstruktur, die auf der Hausweberei beruht hatte. Ihr Ende kündigte sich an, als im Jahre 1810 in Waldenburg die ersten mechanischen Spindeln des Kontinents zu arbeiten begannen. In ihrer Folge enstanden in den Weberdörfer der schlesischen Berge und ihres Vorlandes die riesigen Spinnereien und Webereien, die nur ein Teil der nun rasch arbeitslos werdenden, unterbezahlten Hausweber Arbeit bot. Im Jahre 1844 kam es in Peterswaldau und Langenbielau zu den blutigen Weberaufständen, die in Gerhart Hauptmanns Die Weber weiterleben."
Von 'Dreckpauern' zu 'Kuxbaronen'
Entwicklung ab der zweiten Hälfte des 19.Jhds.; Seite 126 und 127:
"Eine für das Waldenburger Industriegebiet typische Nebenerscheinung des Kapitalismus waren die plötzlich auftauchenden Neureichen, deren Unwissenheit und Mangel an Bildung von den Arbeitern in unzähligen Witzen verspottet wurde. Diese neureiche Klasse entstammte der zum Teil recht armen bäuerlichen Bevölkerung, die für teures Geld ihre Grundrechte an die Bergwerksgesellschaften verkaufte. Mit dem so erworbenen Geld bauten sich diese über Nacht von Dreckpauern zu Kuxbaronen aufgestiegenen Familien zwischen die schäbigen Arbeiterhäuser ihre protzigen Villen inmitten von Parks. Ihr schamlos zur Schau gestellter Reichtum erregte unter dem land- und besitzlosen Proletariat grosse Bitterkeit.
Diese Schichtung der Gesellschaft, an deren Spitze der besitzende privilegierte Adel und an deren unteren Ende die besitzlose Arbeiterklasse stand, umfasste neben den verachteten Kuxbaronen die Fabrikunternehmer, die meist durch eigene Arbeit und Initiative zu Wohlstand gelangt waren und vor allem den Arbeiterfrauen Verdienstmöglichkeiten gaben, sowie die Kaufleute und die Beamtenschaft. Die Arbeiterschaft in den Gruben stand aber noch einer weiteren Schicht mit unvermindertem Misstrauen, Hass und schliesslich offener Feindschaft gegenüber: den niederen und mittleren Beamten der Grubenverwaltungen und vor allem den Aufsehern 'vor Ort', die in sklavischer Treue zu ihren Arbeitgebern ihre Befugnisse des Anstellens und Entlassens, des Strafens und des Lohnrückhalts gnadenlos ausübten. Unter diesem ständigen Druck vergassen die Arbeiter, dass der Fürst von Pless selbst im Grunde nicht der schlechteste Arbeitgeber war. Seine Aufseher waren jedoch unter den Bergleuten als Spione verrufen, die erbarmungslos jedes Aufmucken, jede politische Bemerkung und vor allem die Zugehörigkeit zur Sozialdemokratischen Partei oder den Wunsch nach stärkerer gewerkschaftlicher Organisierung ihren Vorgesetzten in der Verwaltung meldeten."
Quelle:
W. John Koch
Bücher, Reiseberichte und Notizen des deutsch-kanadischen Schriftstellers aus Waldenburg
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