Böhm-Chronik



Böhmforschung in der Grafschaft Glatz

Beitrag von Günther Böhm, Hilden


Nachstehend eine Mitteilung des Böhmforschers Günther Böhm aus Hilden an Guenter Boehm in New York, USA:

Hallo Namensvetter,
im Waldenburger Bergland habe ich mich noch nicht systematisch nach möglichen Vorfahren umgesehen, weil ich es bisher nur mit Katholiken zu tun hatte, doch will ich die Gelegenheit nutzen, um einmal meine Arbeitshypothesen zu diskutieren.

Wie du weißt, hieß mein frühester wahrscheinlicher Ahne Barttel [Bartholomäus] BEHME [BÖHM], * ca. 1570, sein Sohn Mertten [Martin] BEHME, * ca. 1620, beide aus Braunau in Böhmen. Den Vornamen nach zu urteilen, war Barttel katholisch, Mertten (-> Martin Luther) möglicherweise evangelisch getauft worden. Konversionen waren damals sehr häufig, teilweise mehrmals in einem Leben, und sehr abhängig von den changierenden Machtverhältnissen. Wie dir sicher ebenfalls bekannt ist, ging der Anlass des Dreißigjährigen Krieges, der zweite Prager Fenstersturz, zumindest teilweise auf den Protest von Braunauer Bürgern gegen die Schließung ihrer evangelischen Kirche durch den Abt zurück. Damals muss Barttel ca. 48 Jahre alt gewesen sein, Mertten wurde erst einige Jahre später geboren. Er heiratete am 22. Januar 1635 Maria, verwitwete POPPE, deren Geburtsname nicht bekannt ist. Der Vorname ihres ersten Ehemannes, George POPPE[R], * ca. 1605, könnte ebenfalls auf eine evangelische Taufe schließen lassen, da auch der Name des Drachentöter-Heiligen gern als kryptisches Symbol für Luther benutzt wurde (wobei der Drache für den Papst und die katholische Obrigkeit stand). Im IGI findet sich der Name POPPE im ehemaligen Österreich nur in Hirschberg in Mähren, das im Übrigen eine protestantische Hochburg war, deren Einwohner in der Folge großenteils nach Schlesien emigrieren mussten.

Dann fehlen mir Nachweise bis 1715, dem ungefähren Geburtsjahr von Anton Josef BÖHM, der ca. 1740 in Braunau Maria Anna geb. RA[E]NTZ, verw. ELS aus Kils, geb. ca. 1720 in Zedlitz, Kr. Schweidnitz, heiratete. Weder den Namen ELS noch den Ort Kils konnte ich ermitteln. Bei der Eintragung könnten aber beide verwechselt worden sein, gab es doch wenige Kilometer westlich von Zedlitz ein Dorf Oelse. Leider scheinen jedoch weder von Zedlitz noch von Oelse Kirchenbücher erhalten geblieben zu sein. Und da man damals wohl nur sehr selten außerhalb des eigenen Gesichtskreises heiratete, nehme ich an, dass auch meine BÖHM-Vorfahren zu jener Zeit in der Zedlitzer, Oelser oder Königszelter Gegend im Kreis Schweidnitz ansässig waren.

Kurzum: ich denke, dass diese Vorfahren (v.a. Mertten BEHME) in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nach Schlesien emigrierten, dass aber bereits der Vater des besagten Anton Josef wieder zum Katholizismus konvertiert und reumütig (die Vornamen Anton und Josef des Sohnes legen es nahe) nach Braunau und in dessen alte Tuchmacherzunft zurückgekehrt war.

Die Herkunft des Namens BÖHM ist sicher vielfältig. In meinem Fall vermute ich, dass er (v.a. in seiner spätmittelalterlichen Form BEHME) ethnisch, also für Tschechen gebraucht wurde, da er in der Stadt Glatz bereits im frühen 14. Jahrhundert geläufig war, wo eine ganze Reihe von BEME bzw. BEMISCHMAN, z.T. noch mit tschechischen Vornamen, als Schöffen und Kreditgeber, übrigens mehrheitlich in der "Bemischen Gassen" wohnhaft, beurkundet ist. Dort konnte der Name schon deshalb nicht vom Königreich Böhmen hergeleitet sein, weil die gesamte Grafschaft bereits seit dem Jahre 1093 zu diesem gehörte (erst die preußischen Siege in den Schlesischen Kriegen machten der böhmischen Lehnshoheit bekanntlich ein Ende).

Bereits im 14., besonders aber im 15. Jahrhundert vermehrten sich die Glatzer BEME wie auch ihre finanziellen Mittel soweit, dass man begann, auch in den umliegenden Dörfern Finanzgeschäften nachzugehen und Erbscholtisseien zu kaufen:
1355: "Mertin BEME von der Wyse kauft dem Hanko Heynuchz von Wunschilburk ein Achtel des Erbes zu Stynewicz mit Einschluss der Wiesen, Äcker, Büsche und des Viehes (ausgenommen Hühner, Gänse und Schweine) ab. Fer. 4. post Quasimodogeniti."
Am 19. Oktober 1412 werden Pesco und Jacob BEME aus Heinzendorf, Kr. Habelschwerdt, erwähnt:
"Pesco, Jacob BEMEs Bruder aus Heinczendorf, bekennt, daß die Berichtigung, welche Jacob mit seinem verstorbenen Oheim Niytczke, Richter zu Heinczendorf, des Gerichts zu H. und des Geldes wegen gehabt, mit seiner Bewilligung geschehen ist, und gelobt, keinen Anspruch mehr auf das Gericht wegen seines Oheims zu machen."
Dabei geraten sie auch immer näher an Braunau heran:
"Nickel Beme hat gelobt mit seinem Gerichte zu Mertinsdorf [Märzdorf, ca. 6 km westlich von Glatz], der Anna Symonin 10 Mark väterliches Erbe zu zahlen. 1422, fer. 6. post Elisabeth."

Dass die Waldenburger und Schweidnitzer BEHEM von den Glatzer BEME und BEMISCHMAN abstammten, ist eher unwahrscheinlich. Erstere waren wohl zu den durch Kaiser Karl IV. nach dem Anschluss des Herzogtums Schweidnitz-Jauer an Böhmen eingesetzten adligen Landeshauptleuten (böhmischen Adligen) zu rechnen.

Vor 1945 war der Name BÖHM in der Grafschaft Glatz besonders in den Dörfern Tuntschendorf, Ober-, Mittel- und Niedersteine sowie in Wünschelburg, d.h. in der unmittelbaren Nähe von Braunau, häufig. Nun ist es sicher wahrscheinlicher, dass einem städtischen Zunftbürger der Sprung in die benachbarte Stadt leichter fiel als in die umgebenden Dörfer, zumal auch Braunauer Bürger bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts in Glatz beurkundet sind.

Glatz war älter, größer und wohl auch offener als Braunau und hatte bereits im frühen Mittelalter eine jüdische Gemeinde, deren Mitglieder im ältesten Glatzer Stadtbuch gleichberechtigt als Kreditgeber und Hauseigentümer vermerkt sind. Deshalb glaube ich, dass es dort auch für wohlhabende Tschechen leichter war, Bürgerrechte zu erhalten und Ämter zu bekleiden als im kirchlich beherrschten Braunau. Hatte man aber einmal die Glatzer Bürgerschaft, dann war der Sprung in andere Städte möglich und wohl auch verlockend.

Wohlgemerkt: diese Hypothesen beziehen sich nur auf meine BÖHM-Ahnen. Ganz offensichtlich gab es später andere Einwanderungsgründe für böhmische Untertanen nach Schlesien, wobei der Anschluss an das religiös tolerante Preußen 1742 nicht der einzige ist. Bereits vorher gab es protestantische Enklaven in Schlesien (man denke z.B. an den "Halt Großburg" im Kreis Strehlen), die eine magnetische Wirkung ausübten. Auch war die Definition "Böhme" später nicht mehr ethnisch sondern obrigkeitlich bestimmt. Zu untersuchen wäre dabei z.B., warum so viele Menschen auf ihren alten Familiennamen verzichteten und sich unter den Gattungsnamen BÖHM subsummieren ließen. Geschah das freiwillig oder war es ein obrigkeitlicher Akt der Brandmarkung?

Günther Böhm aus Hilden (geboren in Reichenberg in Böhmen)
e-mail: GHBoehm (at) ish.de




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