Böhm-Chronik



Ein merkwürdiges Ereignis 1946

Beitrag von Guenter Boehm (Jahrgang 1939)

Sommer 1946. In Friedland wurden wieder einmal Deutsche aufgefordert sich in der Gartenanlage des Hotels "Schlesischer Hof" zu sammeln, um von dort dann in Gruppen unter Bewachung der Miliz zum Güterbahnhof zu gehen. Ich sollte von einer ausgewiesenen Familie (Reimann) deren Wellensittich zur Pflege bekommen. In ihrer Wohnung waren sie nicht mehr. Meine Mutter ging dann mit mir - ich war damals sieben Jahre alt - zum Sammelplatz, um sich von Freunden zu verabschieden. Meine Augen hielten aber mehr Ausschau nach dem kleinen Lebewesen. Ich sah wie zwei junge Milizmänner freudestrahlend einer alten Frau alle Räder eines Kinderwagens, in dem sie ihre paar Habseligkeiten gepackt hatte, mit den Gewehrkolben abschlugen. Die Alte schrie zum Himmel "ich hoab doch niemanda woas getoan". Ein gutgekleideter Mann mit Brille schaute sich das aus einer gewissen Entfernung alles an, sagte aber kein Wort. Meinen Wellensittich fand ich nicht.

Als wir mit einer befreundeten Familie Bündel und Einkaufstaschen schleppend auf dem Wege zum Bahnhof gingen, sahen wir den gutgekleideten Mann mit Frau und zehn- oder zwölfjähriger Tochter vor uns laufend in der Schweidnitzer Strasse wieder. In der Nähe der Beamtenhäuser gab der Mann seiner Frau den Haustürschlüssel und sagte etwas zu ihr. Vor uns stand wieder die alte Frau, laut flehend und wohl erschöpft vom Schleppen ihrer Taschen und siehe da, der gutgekleidete Mann half ihr. Später sagte dann meine Mutter etwas unfaßbar, das sei ein Pole gewesen. Am Bahnhof sah ich die alte Frau wieder, als sie auf einen Waggon krabbelte. Auch den Mann sah ich wieder, er lief nur herum und schaute sich alles an. Meinen Wellensittich fand ich hier aber auch nicht, den hatte man Gott sei Dank vorher bei unseren Nachbarn für mich aufbewahrt. Als wir 1948 ausgewiesen wurden, gab ich den Wellensittich einer deutschen Frau, die mit einem Polen zusammenlebte.

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