Böhm-Chronik
Meine ersten "Schultage"
Lernen verboten!
Beitrag von Guenter Boehm (Jahrgang 1939)
Die wenigen noch verbliebenen deutschen Familien in Friedland (ca.1947) machten sich nun Gedanken, wie sie ihren Kindern, welche nun das schulpflichtige Alter erreicht hatten, das Lesen und Schreiben beibringen könnten. Schulisches Lernen war für deutsche Kinder verboten und erst später wurden sie in polnische Schulen aufgenommen.
Der alte Lehrer Rudolph war noch in der Stadt zurückgeblieben. Seine Frau war gelähmt und bettlägerig. Aus ihrer Wohnung in den Beamtenhäusern waren sie hinausgeworfen worden. Sie hatten also nichts mehr, was noch gegen Lebensmittel "zu versetzen" wäre. Rente gabe es auch keine. Lehrer Rudolph wohnte jetzt in einer einräumigen Dachgeschosswohnung in der Schweidnitzer Strasse, schräg gegenüber der Post. Er bot sich an, uns Kindern das ABC beizubringen. Bürgelt Hans - mein Freund - und ich waren seine ersten Schüler. Nach wenige Wochen waren wir dann um die sieben Kinder. Die Eltern unterstützten den Lehrer mit Kartoffeln, Kohle, Holz und Brot.
Jemand muss uns angezeigt haben, denn eines Tages stürzten drei Milizmänner und eine polnische Frau in die kleine Wohnung. Wir Kinder im Alter von sieben bis neun Jahren und Lehrer Rudolph vorneweg, wurden nun mit Maschinenpistolen - die russischen mit der Trommel - über den Ring durch die Unterlauben zur Polizeistation in der Braunauer Strasse abgeführt. Wir Kinder heulend in Zweierreihe händchenhaltend. Es muss ein erbärmliches Bild gewesen sein. Ein etwas älterer Junge rannte weg, den Brauberg hinunter. Er hatte sicherlich seine Mutter alamiert. Eine deutsche Frau arbeitete beim polnischen Bürgermeister im Haushalt. Denn, kurz nachdem wir in der Polizeistation angekommen waren, klingelte das Telefon. Vermutlich vom Bürgermeister, der die ganze Aktion missbilligte. Der alte Lehrer Rudolph kam in eine Zelle. Wenig später kamen die Mütter und holten uns Kinder ab. Sie mussten aber versichern, uns nicht mehr zum Unterricht zu schicken. Lehrer Rudolph wurde abends wieder nach Hause entlassen.
Die Eltern machten sich nun Sorgen, wie es mit dem Lernen weitergehen sollte, denn eines Tages würden wir doch Schlesien verlassen müssen, und dass wir dann gegenüber den anderen Schülern nicht zu weit zurückliegen sollten. Lehrer Rudolph kam dann zu uns in die Wohnung und manchmal zu Bürgelts, um Hans und mir Unterricht zu geben. Einmal kam ein Mann vom Magistrat in unser Haus und Lehrer Rudolph konnte sich noch rechtzeitg in unserer Schlafkammer hinter einem Schrank verstecken.
Wir wurden im Sommer 1948 ausgewiesen. Dank dieser vorschulischen Unterrichtung wurde ich dann in Sachsen als Neunjähriger gleich in die zweite Klasse eingestuft und nach ein paar Wochen kam ich in die dritte Klasse.