Böhm-Chronik



Die Russen kommen

Beitrag von Herbert Böhm (Jahrgang 1929)


Nachdem die deutsche Nachhut die Panzersperre an der Post (Schweidnitzer Strasse) geschlossen hatte, war es in dem Städtchen ganz ruhig geworden. Dann schossen russische Panzer auf den Ring, so nannten wir den Hauptplatz. Gauglitz Dora, eine Schulgefährtin und Günters Kindermädchen, ihre Mutter, eine flüchtende Bauernfamilie mit ihren Zugpferden waren von Granatsplittern tödlich getroffen worden. Die Bewohner der Stadt, die nicht geflohen waren gingen auf den Kirchberg. Dort waren auch die Pfarrer beider Konfessionen. Laut betend gingen sie auf dem Waldweg auf und ab. Allen hatten Angst. Später wurde die Bevölkerung von den Russen mit Lautsprechern aufgefordert, sofort den Wald zu verlassen und in die Wohnungen zu gehen, ansonsten würden man sie als Partisanen behandeln.

Wir gingen zurück in die Liebigstrasse, in unsere Wohnung. Kurz darauf waren die Russen da. Sie verlangten Uhren und suchten nach deutschen Soldaten. Es musste alles sehr schnell gehen, denn es waren Kampftruppen die schnell weiter mussten. Etwas später, aber am selben Tag kamen vier oder fünf Russen in die Wohnung. Sie sangen Lieder und tranken. Sie feierten ihren Sieg und benahmen sich erstaunlicherweise anständig. Einer hatte meinen kleinen Bruder Günter auf dem Schoss. Mutter hatte Angst, da sie alle scharf geladene Waffen hatten und nicht vorsichtig damit umgingen. Einer wurde uns als politischer Kommissar genannt. Dieser hatte nicht mitgetrunken und alles genau beobachtet. Vater wurde aufgefordert die Internationale zu singen. Er sang "Völker hört die Signale". Das gefiel den Russen, sie schrien "du nicht Nazi" und "Hitler kaputt". Ein Russe, es war ein Kapitän (Hauptmann) blieb bei uns und legte sich auf das Sofa schlafen. Er sprach etwas deutsch und wir hatten den Eindruck, das er kein schlechter Mensch war.

Bei uns im Ort, Richtung Schmidtsdorf war ein kleines KZ-Lager. Die dort inhaftierten Juden mussten in der Metallfabrik VDM arbeiten, die in einer ehemaligen Weberei eingerichtet war. Diese Häftlinge plünderten die Gärtner-Fleischerei sowie den Bachmann-Bäcker und warfen Vater und mir auch einige Brote zu. In der Stadt war Chaos. Höhere Nazis wurden gesucht und wenn gefunden, so auch ein SS-Mann Hirsch, totgeschlagen. Andere Deutsche haben sich erhängt. Im Haus gegenüber wurde eine Frau von zwei russischen Soldaten vergewaltigt. Ein Schulfreund von mir (Treutler Manfred), der Lehrling in der Metallfabrik war, wo auch die KZ-Häftlinge arbeiten mussten, bekam von diesen eine Art Schutzbrief, da er oft von seinen Butterschnitten den Juden etwas abgegeben hatte.

Nachts hatten die Russen freie Hand. Sie gingen auf Frauenjagd. Mutter ist einmal nachts aus dem Fenster auf das Vordach des ehemaligen Pferdestalls gesprungen und so einer Vergewaltigung entgangen. Vater hatte dann die Tür von der Wohnküche zum Schlafzimmer mit einem Schrank zugestellt, obenauf einige Kartons gelegt, so dass die Küche in der er nun allein schlief, wie eine Einzimmerwohnung aussah. Im Schlafzimmer waren Mutter, Frau Feige, ihr Sohn Jochen, mein kleiner Bruder und ich. Später kamen noch Tante Trudel und meine Kusine Gerda hinzu. Wir mussten äusserste Ruhe bewahren und zur Not Günter (6J.) den Mund zuhalten. Nachts kamen die Russen und suchten Frauen. Bei einem Trupp war auch der Kapitän dabei, der sich vorher bei uns ausgeruht hatte. Vater meinte später, der wusste genau, das hinter dem Schrank noch ein Zimmer war. Aber er hat nichts verraten. Es war also doch ein feiner Kerl. Wir alle hatten in diesen Nächten Todesangst. Ich bewundere unseren Vater heute noch über seinen Mut, den er im Umgang mit den Russen zeigte. Nach einigen Tagen war dann in Friedland eine russische Kommandantur eingerichtet und es kehrte eine gewisse Ordnung ein. Mutter hatten dann auch einige Zeit in der Küche der Russen, in unsere ehemaligen Schule, gearbeitet, so dass wir etwas zum Essen hatten.

Fotos aus: "Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen" von Alfred M. de Zayas

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