Böhm-Chronik



Erinnerungen an die Kriegsjahre in Schlesien

Beitrag von Herbert Böhm (Jahrgang 1929)

Fünfundfünfzig Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges möchte ich die damaligen Ereignisse schildern, wie ich sie in Erinnerung habe. Es kann natürlich nach diesem langen Zeitraum nur eine subjektive Aufschreibung sein.

Wir wohnten in Friedland. Vater war Berghauer, Mutter war Weberin. Mein Bruder Günter ist 1939 geboren, er war zum Kriegsende sechs Jahre alt. Vater war Anhänger der Sozialdemokratie, Mutter war unpolitisch. Vater hörte im Krieg Feindsender ab, wobei ich ihn einmal überraschte. Das wurde unter Hitler mit Zuchthaus oder KZ bestraft.

Ab dem 10. Lebensjahr kamen wir in das Jungvolk, ab 14 in die Hitlerjugend. Das war Pflicht, mir ist nicht bekannt, dass ein Schulkamerad oder Spielgefährte dieses vermeiden konnte. Der Protest meines Vaters war dergestalt, dass er mir keine HJ-Uniform kaufte. Wurde ich daraufhin von HJ-Führern angesprochen, musste ich sagen, dass wir kein Geld haben. Ich kam also in die sogenannte Pflicht-HJ. Bei Aufmärschen, marschierten wir in zivil hinterher. Sehr oft ging ich mit Gleichgesinnten bewusst ohne Schuhe, also barfuss zum HJ-Dienst. Die sportlichen Aktivitäten, wie auch Geländespiele, machten auch mir viel Spass. Die HJ-Führer mochte ich nicht, jedoch stand die Person Hitler auch bei uns Jungens der Pflicht-HJ ausserhalb jeder Kritik. Hitler war uns in der Propaganda als gottähnliche Figur eingetrichtert worden.

Ich kann mich noch an die Eroberung von Paris erinnern. Friedland war ein Fahnenmeer von Hakenkreuzfahnen. Vater unterhielt sich mit einem gleichgesinnten Bergarbeiter und sagte: "Wir haben uns im 1.Weltkrieg schon einmal totgesiegt". Ich habe über dies Ausspruch oft nachgedacht.

Als Kind war ich zweimal bei der Schwester meines Vater in Posen, 1941 und 1942 in den grossen Schulferien. Onkel Fritz (Grubich) war Hauptwachtmeister bei der Polizei und wurde von Liegnitz nach Posen verlegt. Tante Ida und Onkel Fritz wohnten in einer Villa eines jüdischen Arztes, der mit Sicherheit im KZ gelandet war. Dort habe ich das erstemal gedacht "Gnade uns Gott, wenn wir den Krieg verlieren". Ich habe dort erlebt, wie die Polen als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden.

Im August 1944, ich glaube es war am 2., kam ich als knapp 15-jähriger an die damalige deutsch-polnische Grenze zum Schanzeneinsatz. Das ganze nannte sich "Unternehmen Barthold" und wurde in der späteren Rentenberechnung als militärischer Dienst anerkannt. Einkleidung in grau-blauen Drillich. Wir bauten dort Panzergräben ohne technische Hifsmittel. Spaten, Schaufeln und Hacken waren unser Werkzeug. Die Unterbringung war in einem Gutshof auf Strohlager. Das Essen war soeben ausreichend. Im November 1944 wurde das Hauptlager aufgelöst. Ich kam mit einer kleinen Gruppe in ein Nebenlager in eine Holzbaracke mit dreistöckigen Betten. Es war östlich dem deutschen Städtchen Neumittelwalde, aber bereits auf polnischem Gebiete. Nach 1939, dem gewonnenen Polenfeldzug, hiess es Warthegau. Wir bauten dort eine Geschützstellung mit Splittergraben. Anfang Dezember 1944 kam ich nach Hause. Ich habe als Banklehrling am Jahresabschluss mitgearbeitet. Danach wurde die Banklehre wieder unterbrochen, denn im Januar 1945 wurde ich in das Wehrertüchtigungslager erst nach Friedland, dann nach Waldenburg einberufen. Dort wurden wir knochenhart eingedrillt und vormilitärisch ausgebildet. Ich kam dann in ein Aussenlager nach Polsnitz. Von dort wurde ich eingesetzt zum Evakuieren von Grossvieh aus bereits geräumten Dörfern. Es muss in der Striegauer Gegend gewesen sein. Dort waren schwere Kämpfe, wir hörten die Artillerie. Mit der Waffe wurde ich nicht eingesetzt, da ich unter 16 Jahre alt war. Nach dem Heldentod von Hitler - tatsächlich war es jedoch Selbstmord - wurde uns im We-Lager Waldenburg, in das wir zurückverlegt waren, von unserem Unteroffizier - er war unterarmamputiert - freigestellt, uns nach Hause durchzuschlagen oder mit der We-Lagereinheit durch die Tschechei zu versuchen in den Westen zu gelangen. Ich legte die Uniform und den italienischen Stutzen ab und ging durch die Wälder und über die Berge in Richtung Friedland.

Dort war schon alles in Auflösung begriffen. Viele Einwohner flohen vor den Russen. Vater sagte wir bleiben. Wir haben keine Chance durch die Tschechei in den Westen zu gelangen. Ein oder zwei Tage vor dem Einmarsch der Russen zogen zurückgehende deutsche Wehrmachtstruppen durch unser Städtchen und dann über den Pass 'Hoher Stein' in die Tschechei, um von dort nach Bayern zu gelangen. Das ist aber den meisten Soldaten nicht geglückt, da in der Tschechei bereits Aufruhr war und viele Soldaten dabei umkamen. Unter den deutschen Truppen war auch eine Einheit russischer Hilfswillige, die auf deutscher Seite kämpften. Es waren Angehörige der sogenannten Vlasov-Armee, denen durch die Niederlage als Vaterlandsverräter der sichere Tod oder Jahrzehnte in Arbeitslager in Sibirien bevorstand. Einige dieser Truppen schossen voller Wut, viele auch unter Alkohol, in die Fenster aus denen schon weisse Fahnen hingen. Dem Militärtroß folgte eine Herde von Rindern und ein paar Gespanne mit ziviler Bevölkerung.

Vater besorgte aus geöffneten Vorratslagern der Wehrmacht (Gasthof Reichmacher in Schmidtsdorf) mit einem Handkarren Lebensmittel, die er teilweise an befreundete Familien - die Männer waren in der Wehrmacht - verteilte. Mein Bruder Günter (6 J.) kann sich erinnern, dass ihn Vater einmal dazu mitnahm. Wir älteren Jungens, meine Freunde Hans (Weich), Jochen (Feige) und ich sammelten Gewehre, Pistolen usw., die wir in eine in Öl getränkte Wehrmachtsjacke einhüllten und auf dem nahen Kirchberg vergruben.

Fotos aus: "Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen" von Alfred M. de Zayas

Weitere Informationen zu Unternehmen Barthold von Siegmund Kempmann.

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