Böhm-Chronik
Einführung in die Adelsforschung
von Tobias Kemper, Moderator der Adelsliste
Einführung in die Adelsforschung
Die Quellen- und die Forschungslage ist für Adelsfamilien oft deutlich besser,
insbesondere in der Zeit vor, sagen wir, 1500 oder 1400.
Im 17. Jh. fehlen oft noch die Kirchenbücher, und die vorhandenen sind oft
nicht gut geführt; für Bauern und Tagelöhner sind das oft die einzigen Quellen,
und wenn diese versiegen, ist das Ende der Forschung erreicht.
Bei Adelsfamilien ist die Situation anders, weil man für die Erforschung von
Adelsfamilien nicht auf die Kirchenbücher allein angewiesen ist. Oft gibt es
Familienarchive, es gibt in den Staats- und Lokalarchiven Urkunden und Akten,
die über die Besitzverwaltung der Adelsfamilien Auskunft geben und auch über
einzelne Personen, mit etwas Glück gibt es Briefe und so weiter. Daher ist schon
für das 17. Jh. die Quellenlage meist viel besser, und für das 16. und 15. Jh.
gilt zumindest, dass die Quellenlage für Adel relativ besser ist als für Bauern,
Handwerker und Tagelöhner. Das schließt nicht aus, dass man auch hier sich die
Zähne an Einzelproblemen ausbeißen kann.
Was aber dann die Zeit vor, sagen wir, 1400 betrifft, ist die Forschungslage
eine andere. Zwar gibt es naturgemäß um so weniger Quellen, je weiter man
zurückkommt. Aber: Die vorhandenen Quellen sind in der Regel erstens bekannt und
zweitens erschlossen. Die mittel- und spätmittelalterlichen Urkunden sind
gedruckt oder in Regestenform (d.h. in Form von Inhaltsangaben) erschlossen, so
dass man in vielen Fällen auf Quellenabdrucke und Urkundenbücher zurückgreifen
kann, ohne im Archiv in den Originalen forschen zu müssen. Natürlich muss man
das ggf. auch, aber nicht an erster Stelle; es gilt erst, das schon Gedruckte zu
sichten.
Weiterhin sind die Adelsfamilien im hohen und späten MIttelalter oft bereits gut
erforscht, so dass man nicht mit einem leeren Blatt anfängt, sondern nach
Literatur recherchiert (oder im Internet), in der die Geschichte einer Familie
bereits aufgearbeitet ist.
Wenn man dann den Einstieg einmal gefunden hat, kommt man schließlich über
umfangreiche genealogische Nachschlagewerke rasch weiter. Zu nennen sind hier
v.a. die Europäischen Stammtafeln mit inzwischen 25 Bänden. Siehe http://www.klostermann.de/stamm/st_text.htm
Wo endet die Forschung, wo beginnt die Legende, gar der Mythos?
Das ist nicht pauschal zu beantworten. Grundsätzlich gilt, dass im Internet
bezüglich Adelsfamilien viel Unsinn herumgeistert, vieles unkritisch übernommen
wird aus älterer Literatur, was inzwischen widerlegt und überholt ist. Ich rate,
das Internet als Hilfsmittel zu nehmen, das Wesentliche dann aber auch an
Literatur abzugleichen. Insbesondere warne ich vor den Datenbanken der Mormonen
und vor englischsprachigen Seiten, auf denen auch Adam, Eva, Zeus ... in die
Genealogie eingebunden sind. Das sehe ich persönlich als Indiz, dass eben hier
nicht sauber getrennt wird zwischen dem, was belegt oder sinnvoll vermutet ist,
und dem, was Sage und Mythos ist. Ich für mich will das trennen. Sage und Mythos
ist nett, aber hat in meinem Genealogieprogramm nichts zu suchen. Grenzfälle
sind natürlich schwierig zu entscheiden.
Bestimmt werden Listenmitglieder gerne Hinweise auf verlässliche Internetseiten
geben, die teilweise auch von Listenmitgliedern selbst erstellt sind.
Auch Gedrucktes ist nicht immer verlässlich. Als notorisch phantastisch oder
wenigstens nicht zuverlässig wird bezeichnet: Roderick W. Stuart: "Royalty for Commoners. The Complete Known Lineage of John of Gaunt, Son of Edward III, King of England, and Queen Philippa".
Viele angloamerikanische Internetseiten beziehen sich explizit oder implizit darauf.
"Die Vorfahren Karl d. Großen nach Settipani". Liegt diese Dokumentation noch irgendwo in Schriftform vor?
Christian Settipani ist ein französischer Genealoge, der zunächst viel zu den
Vorfahren Karls des Großen geforscht hat, dann zu den Vorfahren der Kapetinger,
zuletzt über den römischen Senatorenadel und über Familien in Byzanz. Die Titel
sind zu finden im KVK:
http://www.ubka.uni-karlsruhe.de:80/kvk.html ("Settipani,
Christian" als Autor eingeben). Ich persönlich schätze Christian Settipanis
Forschung sehr. Man muss aber sagen, dass z. B. über die Vorfahren Karls des
Großen nur für drei, vier, fünf Generationen Übereinstimmung aller Forscher zu
erreichen ist. Im Frühmittelalter spielt die Interpretation der Quellen, spielen
Vermutungen und Rekonstruktionen eine große Rolle, so dass man hier naturgemäß
zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt. Ich persönlich beziehe mich
Frühmittelalter und Spätantike gerne und viel auf Settipani. Seine Publikationen
sind neu, beruhen auf sehr gründlicher Quellenauswertung - meine persönliche
Meinung.