Böhm-Chronik
Familienforschung vor 1600
Eine Betrachtung zur Forschung in Böhmen
von Hr. Bernkopf
Was war vor 1600?
Vermutlich werden 95% der Familienforscher schon über diese Frage nachgedacht haben, die an dieser magischen 1600er-Grenze angelangt sind. Sicherlich werden sie bereits wissen, daß es vor den Grundbüchern noch die sogenannten Urbare gab,die weit vor die 1600er Grenze zurückgehen. Doch immer unter dem Anmerkungspunkt, daß nur derjenige in den älteren Archivbeständen auftaucht, der Grundbesitz oder Vermögen hatte, welches man besteuern konnte. Dies ist vielleicht nicht allen bekannt!?
Dasselbe Prinzip wurde auch bei den unterschiedlichen Steuerlisten jener Zeiträume angewandt. Der einfach Mensch war seinerzeit bedeutungslos, für die meist adeligen Großgrundbesitzer nur "Untertan" und "billige" Arbeitskraft, was eine größere Anzahl ursprünglich auferlegter Robotverpflichtungen bezeugt. Diese unterschiedlich alten Aufzeichnungen sind meist nur mit einfachen (Vor-)Namen versehen, die ohne genealogischen Hintergrund stehen und von denen keine familiären Zusammenhänge abgeleitet werden können!
Nach eigener Lesung unzähliger Aufzeichnungen auch ein paar Worte zu den älteren Kirchenbücher von Südböhmischen Pfarreien, in denen nur Personen mit ihren Vornamen genannt sind, d.h. man hat zwar in einem Dorf mehrere Geburten eines gesuchten Personnamens, doch läßt sich dieser nicht eindeutig (zweifelsfrei) einer bestimmten Ahnenfamilie zuordnen, weil der Familienname im Kirchenbuch fehlt.
Bei Kindstaufen wurde meist nur der Vater (manchmal auch nur mit Vorname) eingetragen, sehr oft fehlt dazu die Angabe der Kinds-Mutter.
So kann es in dieser Zeit (um 1600) auch des öfteren vorkommen, daß der gesuchte Ahn in seiner kurzen Lebensspanne gleich unter mehreren verschiedenen Vor- und Zunamen in den Archivbeständen auftaucht, da die Namensgebung oft nach Gehör des Beamten geschrieben, nach Gepflogenheit des Pfarrers gedeutet und nach
Herkunft, Aussehen, Beruf etc. festgelegt werden konnte.
Um dies zu verstehen muss man sich etwas in diese (alte) Zeit hineinversetzen. Wie schon anfangs erwähnt, nach dem einfachen Mann/Frau fragte damals niemand, und die böhmischen Wälder waren oft undurchdringlich und weit! Bei
Ansiedlungen von 30-60 Personen kannte jeder jeden (die Personenzahlen sind leicht aus den Seelenbeschreibungen der Jahre 1651 herauszuaddieren).
So kann man auch die oft verbreiteten Mißstände deuten, daß in den Kirchenbüchern zeitweise Lücken vorhanden sind, obwohl der gesuchte Vorfahre und dessen Familie nicht selten seit mehreren hundert Jahren auf ein- und demselben Hof
sesshaft war, dieser trotzdem nicht im jeweiligen Kirchenbuch aufscheint. An eine "preußische" Pünktlichkeit (Genauigkeit) war nicht im entferntesten zu denken.
Da der Pfarrer teilweise auch Landwirtschaft betrieb, wurden kirchliche Ereignisse später nachgetragen. Manchmal mögen vielleicht auch Krankheit und Seuchen (u.a.Pest) daran Schuld gewesen sein. So kommt es immer wieder vor, dass Kirchenbuch-Eintragungen nicht personenbezogen zugeordnet werden können, d.h. anstatt der Braut wird der Name der Schwiegermutter eingetragen, beim Vorname des Täuflings trägt man den Täufling, sondern den Heiligennamen ein, der an diesem Tage gerade Namenstag hatte usw. (habe selbst solche Fälle in meiner AT).
Hat man vielleicht doch mal das Glück, in einer anderen, vielleicht entfernten Nachbarpfarrei, durch einen Zufall diesen besagten Todestag des Ahns aufzuspüren, ist das angegebene Sterbealter meist gerundet und weicht zum errechneten
Geburtsjahr "bis" 20 Jahre ab. Wer wusste schon genau, wann er geboren wurde.
Dazu kommen noch die Landwehrzeiten (z.T.Dienst auf Lebenszeit), auch Kriegszeiten, in denen die Grundherrschaft wehrhafte Männer zur Verfügung stellen musste, die nach einem bestimmten Schlüssel aus den einzelnen Dörfern einfach
eingezogen wurden. Manchmal findet man in den Grundbüchern einen Hinweis, dass der Besagte im Krieg sei und deshalb sein Erbteil an ihn nicht ausgezahlt werden könne. Auch verblieben manche zwangsweise eingezogenen
einfach in der Fremde,um dort zu heiraten,oder ein besseres Leben als zuhause zu führen (u.a. siehe umfassenden Aktenbestand im Kriegsarchiv Wien).
In den alten Ehebewilligungen - vor der Heirat musste die Grundherrschaft um Erlaubnis zur Heirat ersucht werden - liest man immer wieder, dass der Antragsteller weder wusste, wann dieser geboren wurde, noch wer seine Eltern
waren.
Wichtig war, dass der betreffende zwei kräftige Hände zum Arbeiten hatte und sich in das damalige Gesellschaftsgefüge leicht einfügen konnte. Als Besitzloser wurde meist bei den wohlhabenden Bauern gearbeitet - nur um Kost und
Logie. Mehr brauchte man eigentlich nicht. Kinderarbeit war alltäglich, jeder musste sein Brot selbst "hart"
verdienen. Je mehr eigenes Personal (incl.Kinder) man hatte, desto einfacher konnte man die oft schwierige Feldarbeit bewältigen (alles Handarbeit von morgens bis spät abends). Urlaubstage kannte man ebenfalls nicht. Die einzige Abwechslung aus dem wöchentlichen Alltag waren die Kirchlichen Feiertage, doch auch da mussten erst die häuslichen Nutztiere des Bauern versorgt werden, bevor der Mensch an die Reihe kam.
Für den südlichen Raum Böhmens waren hauptsächlich die Klöster Hohenfurt und Goldenkron zuständig, deren Gründungszeit mit 1259/63 angegeben wird. Die dort vorhandenen Aufzeichnungen sind meist nicht öffentlich
zugänglich, auch hätte man mit der Lesung (nach eigenen Erkenntnissen) verschiedentliche Probleme. Nicht selten sind daraus aber von den Klostergeistlichen Abhandlungen in gedruckter Form veröffentlicht worden. Doch dies hilft dem Einzelnen kaum weiter, befasst sich dass Thema nicht zufällig mit den Bodenverteilungen an die klösterlichen Untertanen (Siedler) dieser Gegend. Auch hierzu benötigt man wieder Insiderwissen. Von den oft kilometerlangen Aktenbeständen sind nur wenige per "Findbuch" erschlossen.
Doch auch hier kommt wieder der alte Leitsatz zur Geltung: nur wer Besitz hatte, oder zu Ansehen und "Wohlstand" kam bzw. eine besondere soziale Stellung inne hatte, wurde der Nachwelt namentlich überliefert.
So kam mir der Zufall zuhilfe, da mein Urahne seinerzeit als Lokator (Landzuteiler) fungierte und demzufolge zu Geld und Ansehen kam, dessen Ahnenreihe sich lückenlos bis 1490 zurückverfolgen ließ. Doch dies ist eher schon die
Ausnahme.
Überwiegend können wir mit unserer Leistung zufrieden sein, wenn wir überhaupt die 1600er Grenze erreichen, sind dies doch immerhin mehrere tausend Ahnen!