Böhm-Chronik
Der schlesische Adel bis zum Ende des 13.Jahrhunderts
von Ulrich Schmilewski, Verein für Geschichte Schlesiens
Die Zusammensetzung des schlesischen Adels / Titulaturen
Schmilewski schreibt auf Seite 103 ff :
In den Quellen begegnen für den einzelnen Adligen neben dienst – und lehensrechtlichen Bezeichnungen die Titel dominus, miles, baro, comes und nobilis.
dominus : der Titel scheint in Schlesien ursprünglich nicht gebräuchlich gewesen zu sein, ... es erscheint nur eine schlesische Urkunde mit diesem Titel im 12. JH.
Mit dominus werden hier Einzelpersonen bezeichnet. Diese werden aus der Schar der Grafen bzw. der übrigen Domherren hervorgehoben.
Mit Beginn des 13. JH. werden die hohe Geistlichkeit und etwas später die Mitglieder der Herzogfamilie mit diesem Titel bedacht.
Für die mittlere Geistlichkeit ist er ab den 20er Jahren und für Pfarrer ab 1274 in Gebrauch. Weltliche Adlige mit diesem Titel begegnen ab Mitte 13. JH. häufiger.
Im 14. JH. verdrängt dominus den Titel comes vollständig.
Der Titel dominus wird aber nicht nur für Adlige, sondern ab Mitte des 13. JH. auch für Vögte und gelegentlich für Bürger gebraucht.
Die weibliche Form – domina – wird 1239 erstmalig in Schlesien nachgewiesen.
Die selten gebrauchte Bezeichnung löst den ebenfalls selten gebrauchten Titel comitissa ab.
Insgesamt läßt der Titel dominus weder sichere Rückschlüsse auf den Stand seiner Träger, noch auf Rangunterschiede innerhalb des Adels zu.
miles bedeutet in polnischen und schlesischen Urkunden einfach Krieger.
Mit miles bezeichnet also nicht den Ritter im westeuropäischen Verständnis, der zuvor Knappe war und durch den Ritterschlag zum Ritter wird.
Erst nach 1220 wird der Titel vermehrt und nach 1250 stetig zunehmend gebraucht.
Im Verlauf der zweiten Hälfte des 13. JH. wird er zum am meisten gebrauchten Titel.
Er ist Adligen vorbehalten; von den Herzögen wird er nicht gebraucht.
Bei der Pluralform – milites – sind drei Bedeutungen zu unterscheiden :
zwei oder mehr Ritter,
Die Ritterschaft als Gesamtheit des Adels,
die „niedere“Schicht der Ritterschaft.
Der Titel miles bezeichnet also ganz allgemein den adligen Krieger, nicht jedoch den Ritter im westeuropäischen Verständnis.
baro : Dieser Titel wird in schlesischen Urkunden selten verwandt und wenn, dann fast nur in der Pluralform. Er ist demnach eine Gruppenbezeichnung.
Die barones gehören zur engeren Umgebung der Herzöge und scheinen den Herzogsrat gebildet zu haben.
Unter den barones finden sich comites und milites.
Die barones bilden innerhalb des Adels keine eigene Schicht.
comes : Der Titel gelangte wahrscheinlich von den Römern (er ähnelt dem Begriff „praetor“) über die Westgoten und Burgunder ... mit der Christianisierung nach Polen.
Mit diesem Titel werden die Angehörigen der grundbesitzenden „höheren“ Schicht der
Ritterschaft bezeichnet, aus der die höheren Beamten gewählt werden.
Es ist jedoch nicht geklärt, wie Titel und Amt zusammenhängen.
nobilis : In Schlesien der am seltensten gebrauchte Titel.
Mit dem seltenen Titel werden Herzöge, Bischöfe, Geistliche, Grafen, Barone und Adlige – überwiegend comites und barones – bedacht. Der Titel ist nicht mit einem Amt verbunden.
Adlige als Inhaber von Landes – und Hofämtern
Schmilewski schreibt auf Seite 254 ff :
Zur Bekleidung der Landes – und Hofämter wird fast ausschließlich der Adel herangezogen.
Lediglich in Kanzleien, die eine Sonderstellung unter den Staats – und Hofämtern einnehmen, werden Geistliche adliger und gelegentlich bürgerlicher Herkunft berufen.
(fast nur Geistliche beherrschten die Fähigkeit des Lesens und Schreibens)
Kanzler (cancellarius) :
Die höchste Position in einer Kanzlei bekleidet der Kanzler. Er führt formal die Oberaufsicht über die Kanzlei, ist aber in Wirklichkeit der engste und vertrauteste Berater des Herrschers. Auf ihn folgen Protonotar (protonotarius, summus notarius) und Notar (notarius). In der Regel diktieren Protonotar und Notar den Urkundentext,nur gelegentlich schreiben sie ihn auch. Diese Aufgabe nimmt sonst der Schreiber (scriptor) wahr, der den niedrigsten Rang einnimmt.
Palatin :
Das Amt des Palatins hatte ursprünglich in Polen eine hohe Bedeutung : Er leitet die gesamte Hofhaltung, vertritt den Herrscher als höchster Hofbeamter bei dessen Abwesenheit. Bei Kriegszügen ist er der militärische Berater des Herrschers, bei dessen Abwesenheit führt er den Oberbefehl.
Die schlesischen Herzöge übernehmen dieses Amt, allerdings messen sie ihm geringere Bedeutung zu. Der Palatin ist nicht mehr ständiger, sondern nur noch gelegentlicher Vertreter des Herrschers. Er leitet wohl die Hofhaltung, was aber bereits auch in den Aufgabenbereich des Kämmerers fallen könnte.
Kastellan :
Das Land wird um 1100 in verschiedene Kastellaneibezirke gegliedert, die die Stammesgaue ablösen. Zentrum eines solchen Bezirkes ist das castellum, eine befestigte Anlage. Im Laufe des 13. Jahrhunderts geht dann die Funktion der Kastellanei an die jeweilige deutschrechtliche Stadt über. Die Weichbildverfassung löst gegen Ende des 13. JH. die alte Kastellaneiverfassung ab.
Dem Kastellan als Vorsteher eines Kastellaneibezirkes kommen militärische (er ist
Burgkommendant und ist zuständig für den Bau und die Instandhaltung von Befestigungen), richterliche und verwaltungsmäßige Kompetenzen zu.
Seit Anfang des 13. JH. entziehen die Herzöge den Kastellanen zunächst die hohe Gerichtsbarkeit, später auch die Verwaltung des herzoglichen Grundbesitzes.
Letztlich verliert der Kastellan alle Kompetenzen, die über die eines reinen Burgkommendanten hinausgehen.
In den schlesischen Urkunden werden für den Kastellan die Bezeichnungen „castellanus“ und vereinzelt auch „burggravius“ gebraucht.
Als Hilfsbeamter für militärische Angelegenheiten steht dem Kastellan der Tribun zur Seite.
Hofgericht / höfisches Richterkollegium :
Die Literatur sagt darüber wenig aus. Es stellt die „Höchste Instanz“ dar.
Im Laufe des 13. JH.wird das Hofgericht immer mehr zu der Rechtsinstanz des Adels.
Gerichtsherr ist der Herzog selbst., der vom Hofrichter oder Richter unterstützt wird, oder sich von ihnen vertreten läßt.
Das höfische Richterkollegium besteht aus dem Hofrichter, dem Richter und dem Unterrichter.
Innerhalb der Zeugenlisten erscheint er in der Regel nach den Kastellanen und vor andreren Hofbeamten.
Formen :
iudex curie . Dem Gericht der bischöflichen curie sind offensichtlich
gleichzusetzen die Titel
iudex generalis und
iudex terrae
Die Ämter des Hofgerichtes werden selten von Angehörigen der bedeutenderen Adelsfamilien bekleidet.
camerarius :
Diese Bezeichnung ist mehrdeutig; einerseits werden damit die unfreien herzoglichen Dienstleute der Frühzeit (die bis Ende 13. JH. aus den Quellen verschwinden), andererseits freie Personen, die die in Verbindung zu einem herrscherlichen Hof stehen, bezeichnet.
(Kammerdiener, Kämmerer...)
Truchseß (dapifer)
Truchseß und Untertruchseß sind reine Hofbeamte. Sie sind zuständig für die Verpflegung der Hofgesellschaft. – Verwaltung der der herzoglichen Tafel zugeordneten Güter, Vorratsplanung und - haltung, Festlegung der Speisefolge, Überwachung der Zubereitung bis zum Auftragen der Speisen durch ihnen zugeordnetes Personal.
Beim Amt des Truchseß handelt es sich in Schlesien wahrscheinlich um eine Titularwürde.
Die eigentliche Arbeit verrichtet der Untertruchseß. Der Truchseß selbst tritt nur bei feierlichen Anlässen beim Auftragen der Speisen im Sinne eines Ehrendienstes in Erscheinung.
Schenk (pincerna)
Schenk und Unterschenk sind praktisch die Ergänzumng zum Truchseß. Sie gehören ebenfalls zu den Hofbeamten und sind zuständig für die Versorgung der Hofgesellschaft mit
Getränken.
Das Amt des Schenken ist in Schlesien wahrscheinlich eine Titularwürde.
Die eigentliche Arbeit verrichtet der Unterschenk. Der Schenk selbst tritt nur bei besonders festlichen Anlässen beim Ausschank im Sinne eines Ehrendienstes in Erscheinung.
Marschall (agazo, marschalcus)
Marschall und Untermarschall sind für die herzogliche Pferdehaltung zuständig :
Erwerb von Streitrossen, Zug – und Reitpferden, Oberaufsicht über den Marstall mit dem dazugehörigen Personal (Dresseure, Schmiede, Pferdepfleger und – knechte)
Möglicherweise ist das Marschallamt in Schlesien bereits während der ersten Hälfte des 13. JH. eine Titularwürde.
Schatzmeister (thesaurarius, skarbnik)
Schatzmeister und Unterschatzmeister – sie werden vom Namen her mit dem herzoglichen Schatz in Verbindung gebracht. Womöglich sind sie auch für sämtliche Belange der Schatzkammer zuständig.
In Niederschlesien gehen die Kompetenzen vermutlich an den Kämmerer über.
Mit der allgemeinen Finanzverwaltung wird der Schatzmeister nicht in Verbindung gebracht.
Mit dem Tod von Herzog Heinrich I. verschwindet das Schatzmeisteramt in Schlesien.
Bannerträger (signifer, vexillifer)
Er verwahrt die herzogliche Fahne, setzt sie instand und trägt sie.
Die Funktion kann sowohl repräsentativer, als auch militärischer Art sein.
Das Amt ist in Schlesien nur für die erste Hälfte des 13. JH. belegt.
Wahrscheinlich handelt es sich um eine Titularwürde.
Schwertträger (gladiator)
Repräsentatives Amt, eventuell Titularwürde.
Bei festlichen Anlässen trägt der Schwertträger das herzogliche Schwert (vielleicht ein Prunkschwert) vor dem Herzog her.
Möglicherweise war der Schwertträger auch für die herzogliche Rüstkammer zuständig.
Das Amt ist nur in der ersten Hälfte des 13. JH. belegt.
Jäger (venator)
Das Amt des Jägers wird erstmalig in einer Urkunde 1222 erwähnt.
Eine kontinuierliche Besetzung des Jägeramtes durch Jäger und Unterjäger läßt sich nicht feststellen.
Die Amtsinhaber stammen mit einer Ausnahme (Gunther von Biberstein) aus weniger bedeutenden Adelsfamilien.
Beschließer (claviger)
Niedrigster Rang unter den höfischen Unterbeamten. Er ist Vorsteher eines kleinen, sich an die Herzogshöfe anschließenden Bezirks der Finanzverwaltung.
Das Amt hält sich bis in die erste Hälfte des 14. JH.
Die neuen Landesabteilungen machen es schließlich entbehrlich.
Zusammenfassung :
Der Herzog beruft Adlige in ihr Amt. Beim Einsatz von weniger bedeutsamen Positionem – vorwiegend der Hofämter – entscheidet er nach eigenem Ermessen. Bei Entscheidung über wichtige Positionen – hauptsächlich der Landesämter – wirkt jedoch der Adel mit.
Von den bis 1300 gezählten 2688 Adligen bekleiden 605 – also 22,5 Personen ein Landes –
oder Hofamt.
Ein Adliger bekleidet in der Regel nur ein Amt, gelegentlich auch mehrere nacheinander.
Eine Ämterlaufbahn gibt es nicht, so daß ein Unterbeamter selten zu einem Oberbeamten aufsteigt.
Anmerkung:
Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Dr. Werner Rudolf ( Heimatforschung Schwarzwaldau ) in die Böhm-Chronik aufgenommen.