Böhm-Chronik
Heimatgruppe Friedland
Heimatgruppe Friedland
c/o. Heinrich Tilch
Breitestr. 15
31737 Rinteln
Tel. (05751) 74345
Heinrich Tilch, Jahrgang 1920, geboren in Göhlenau, wohnte ab 1927 in Friedland, Ring 2.
Von 1967 bis 1997, also 30 Jahre lang, organisierte er alle zwei Jahre die Friedländer Treffen in Hessisch-Oldendorf. Seit 1980, ab 1886 alle zwei Jahre, Busfahrten nach Friedland. 2001 war seine zehnte Fahrt, die Heinrich Tilch organisierte. Wir - fünf Böhm's - nahmen daran teil. Ein voller Erfolg. Nachstehend ist mein Reisebericht.
Heimatfreund Heinrich Tilch hat in seinem Leben und mit seinem Wirken mehr zu dem schwierigen Thema der Völkerverständigung beigetragen als mancher Politiker. Das ist jedenfalls unsere Meinung. Durch diese Begegnungen 'der offenen Tür' mit dem Bürgermeister, den Mitgliedern des Stadtrates und nicht zuletzt dem katholischem Pfarrer von Mieroszów (Friedland) entsteht ein Verhältnis, in dem gegenseitige Gefühle respektiert werden können. Heinrich Tilch trägt einen entscheidenden Anteil dieser Entwicklung.
Mein Reisebericht nach Friedland, Kreis Waldenburg, im Juli 2001,
an die Schlesien-Mailing-Liste (Familiengeschichtsforschung in Schlesien)
Erlebnisse und Gedanken
Hallo Freunde,
ich bin von meiner Schlesien-Reise zurück. Hier ist mein Bericht:
Es war meine erste Reise nach 53 Jahren, eine Gesellschaftsreise mit der
Friedländer Heimatgruppe ab Bielefeld und Rinteln. Die Gruppe bestand
aus 50 Personen, darunter fünf Böhm: mein zehn Jahre älterer Bruder
mit seiner Frau (dritte Reise), meine mexikanische Frau, unser 35 Jahre
alter in Deutschland lebender Sohn und ich (Jahrgang 1939). Vier weitere
Personen fuhren mit eigenem Pkw nach Waldenburg und schlossen sich dort
der Reisegruppe an. Die Fahrt organisierte Heinrich Tilch, Jahrgang
1920. Trotz seiner 80 Jahre und seiner Kriegsverletzung (steifes Bein
und künstliche Hüfte) war es seine zehnte Fahrt, die er seit 1980
für die Friedländer durchführt. Von 1967 bis 1997, also 30 Jahre,
organisierte Heinrich Tilch die Friedländer Treffen in
Hessisch-Oldendorf. Heinrich Tilch kann man nur bewundern.
Fahrt über Görlitz, Lauban, Hirschberg. Hier besuchten wir den Ring
und die evangelische Gnadenkirche. Danach Weiterfahrt nach Waldenburg.
Ankunft am Sonnabend, dem 21.Juli 2001.
Am Sonntag (22.Juli 2001) war offizieller Empfang in Friedland, eingeleitet
durch den jungen polnischen katholischen Pfarrer vor der katholischen Kirche. Die
evangelische Kirche im gotischen Stil wurde vor ein paar Jahren wegen
Baufälligkeit abgerissen und auf der Grundfläche ein Parkplatz
errichtet. Einst standen die Kirchen beider Konfessionen friedlich
nebeneinander. In der Kirche waren einige Sitzreihen für unsere
Reisegruppe reserviert. Wir persönlich bevorzugten es jedoch, uns unter
die Einheimischen in den hinteren Reihen zu mischen. Ein vom
katholischen Ortspfarrer eingeladener Geistlicher hielt in der
überfüllten Kirche die Messe, in der verkündet wurde, dass ehemalige
Einwohner aus der deutschen Zeit unter ihnen weilten und forderte mit
versöhnenden Worten die Gemeinde auf, man sollte sich doch ohne Groll
begegnen. An anderer Stelle warnte er vor den Wölfen in Schaffellen,
denn er bat die richtigen Vertreter (Kommunalwahlen?) zu wählen. Hier
sieht man die wichtige Stellung der katholischen Kirche in Polen. Ein
gemeinsames "Vaterunser" beendete die Messe. Ich konnte einige Tränen
vor allem bei älteren polnischen Frauen, aber auch bei uns Deutschen,
die ja mehrheitlich evangelisch sind, entdecken. Ich muss gestehen, auch
bei mir als freidenkender Christ rollten einige Tränen die Wangen
herunter.
Anschliessend gingen wir zum Rathaus am Ring, wo wir vom Bürgermeister
und dem Stadtrat (alle jüngeren Jahrgangs) im Rathaussaal bei Kaffee
und Kuchen herzlich empfangen wurden. Als wir die Freitreppe zum Rathaus
hochgingen, blitzten bei mir wieder die Erinnerungen auf, wie wir am
heiligem Abend 1946 gerade hier behandelt und mein Vater abgeführt
wurde (Siehe auch Erlebte Heimatgeschichte). Zwölf bestellte Friedland-Chroniken (1883 von
August Werner, 633 Seiten fuer DM 100) in Fotokopien, schön gebunden,
wurden übergeben und vier weitere neu in Auftrag gegeben.
Ich möchte nicht versäumen, mein herzlichstes Dankeschön an Andreas
Suleja, Vorsitzender des Bundes der Jugend der deutschen Minderheit von
Waldenburg, auszudrücken, der an den Vorbereitungen dieser äusserst
wichtigen und zukunftweisenden offiziellen Treffen an entscheidender
Stelle mitgewirkt hat. Ich hatte das Gefühl, dass er leider von unserer
zwar kompetenten, etwas älteren polnischen Reiseführerin, die jedoch
mit ihrem etwas herrschsüchtigem Ton und ihrem Wortschatz an die
vergangenen Zeiten des Kommunismus erinnerte, weggedrückt wurde.
Sicherlich wäre es für die Zukunft vorteilhaft, aktive Jugendliche in
solche Zusammenkünfte mit einzubeziehen.
Im Rathaussaal hingen die Stadtwappen sämtlicher Städte, die jetzt
oder einst Friedland hiessen. Der Bürgermeister strebt eine
Zusammenarbeit, ja vielleicht sogar ein Treffen sämtlicher Friedländer
an.
Anschliessend zeigte uns der Bürgermeister die neue Kläranlage in
Göhlenau, die mit Hilfe der Weltbank errichtet wurde. Danach fuhren wir
zu einem offiziellen Mittagessen in ein schönes Restaurant in den
naheliegende Luftkurort Görbersdorf. Unser Hochbus konnte jedoch zwei
Kilometer vor Görbersdorf nicht durch die Eisenbahnunterführung
(Problem für den angestrebten Tourismus). Mittels Handy (cellular phone) beschaffte der Friedländer
Bürgermeister kurzfristig einen Schulbus (es war Sonntag).
Am Abend traf ich mich im Hotel Sudety mit dem in Waldenburg lebenden
Andreas Richter (39 Jahre) und seiner polnischen Frau. Andreas ist auch
ein Mitglied unserer Schlesien-Mailing-Liste.
Am Montag (23.Juli 2001), zum Abschluss des offiziellen Teils, besichtigten wir
in Neudorf ein neues Kinderheim für verwahrloste Kinder. Dieses Objekt
wurde von einem holländischen Philanthropen gestiftet.
In Friedland schlenderten die fünf Böhm durch Strassen und Gassen,
durch die Liebichstrasse - mein Geburtshaus - , stark vernachlässigt,
zum Geburtshaus meines Bruders, am Malzhaus, an der Steine. Man berichtete mir, dass viele Häuser städtisches Eigentum sind; die Mieten sehr gering, Steueraufkommen gleich null. Man möchte die Häuser privatisieren. Ein Hausbesitzer benötigt höhere Einnahmen, um seine Investitionen einer Modernisierung zu rechtfertigen. Wohin mit den jetzigen Mietern? Ein Teufelskreis, Zeichen der Fehlwirtschaft aus früheren sozialistischen Zeiten.
Wir besuchten eine Heimatverbliebene. Um 14 Uhr waren wir privat bei der
Frau eines Stadtrates und stellvertretenen Bürgermeisters zum Kaffee
eingeladen. Wie es im Leben manchmal so ist, sie wohnte dort wo wir in
unserer Polenzeit (1946-1948) wohnten, allerdings in einem nach 1948
errichteten Wohnblock. Beim Blick durch das Fenster entdeckte ich
unseren Hof, in dem heute polnische Kinder genauso unbefangen spielten
wie einst wir es taten.
Anschliessend trafen wir uns mit unserer Reisegruppe in der katholischen
Kirche, wo die heimatverbliebene Burgel Lotte ein Orgelkonzert gab.
Nach dem Konzert eine Führung mit dem Bürgermeister durch die Sakristei. Dort sahen wir
eine Ausstellung junger Künstler aus der Umgebung. Am Abend im Hotel Sudety in Waldenburg ein freudiges Treffen mit Karl-Heinz Tschirner (Schlesien- Mailing-Liste).
Am Dienstag (24.Juli 2001) Besichtigungsfahrt nach dem schönen Breslau mit
vorherigem Besuch der evangelischen Friedenskirche in Schweidnitz.
Am Mittwoch (25.Juli 2001) private Rundreise im engeren Kreis (meine Frau,
unser Sohn und ich) in die Vergangenheit. Es führte uns der sehr hilfsbereite
deutschsprechende Schwiegervater von Andreas Richter. Die Reisegruppe
fuhr ins Braunauer Ländchen in Tschechien. Wir fuhren zum Schloss
Fürstenstein, dann über Bad Salzbrunn, Weissstein hinunter nach
Hermsdorf. Dort fanden wir die Böhm-Strasse (jetzt Kresowa) sowie die
Böhm-Lehne. Die 800 Jahre alte Eibe, trotzdem sie im jetzigen Stadtplan
als Baum unter Denkmalschutz eingezeichnet ist, fanden wir leider nicht.
Das war das Gebiet, wo meine Vorfahren im 18. und 19.Jhd. ihr Bauerngut hatten (vom Kohlenbauer zum Kuxeninhaber) und wo noch mein Grossvater 1870 geboren wurde. Für uns
jedenfalls ein schönes Gefühl.
Wir fuhren weiter über Alt-Lässig, Fellhammer - Geburtsort meiner
Mutter - nach Langwaltersdorf, dem Geburtsort meines Vaters. Das 140
Jahre alte Geburtshaus, vormals Gasthof "Zur Stadt Wien", einst im
Besitz meiner Urgrosseltern, steht noch. Der Tanzsaal ist heute ein
Lagerraum. Die Pferdeställe wurden als Wohnhaus umgebaut. Hier lebten
meine direkten Urgrosseltern und meine Grosseltern von 1870 bis 1902.
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Gasthof "Zur Stadt Wien"
(Siehe auch Sammlung zur Familienforschung)
Das gegenüberliegende Bauerngut meiner anderen Urgrosseltern Martin
(grossmütterlicherseits) steht auch noch.
Die evangelische Kirche in Langwaltersdorf, in der mein Vater getauft
wurde und wo George Schäl (1690-1753), aus der Schäl-Linie meiner
Mutter, eine Glocke gestiftet hatte, ist baufällig: eine Ruine.
Inzwischen hatten wolkenbruchähnliche Regengüsse angefangen. Wir
fuhren über Reimswaldau und Wüstegiersdorf nach Tannhausen. Nur mit
Mühe kamen wir durch das Blätterdach, den schmalen Anfahrtsweg hinauf
zum Rittergut und Schloss. Das misserable Wetter machte den Anblick noch
schlimmer. Es war schon schlimm genug. Von einem Wirtschaftsgebäude war
das Dach eingefallen. Das Aussenansicht des Schlosses ist in einem
erbärmlichen Zustand. Der Eingang mit einer Eisenkette und grossem
Vorhängeschloss abgeschlossen. Von einem bewohnten Wirtschaftgebäude
schaute uns ein älterer Mann vom Fenster aus zu. Als wir wegfahren
wollten, stand er an der Haustür. Ein Zeichen der Gesprächswilligkeit.
Inzwischen regnete es in Strömen. Die Video-Kamara war schon zu feucht.
Ludwig, unser polnischer Reiseführer und ich stiegen wieder aus dem Auto aus und wir kamen
ins Gespräch mit dem alten Mann. Als er hörte, dass das Anwesen seit
1889 im Besitze meines Urgrossonkels war, erzählte er uns, dass der
Privatfriedhof eingeebnet wurde und auch nichts mehr da wäre
(Grabsteine?). Ernst Koepke von unserer Schlesien-Mailing-Liste sandte
mir Fotografien von 1996 eines Wappens, welches an der Aussenwand des
Schlosses angebracht war. Ich habe es vergebens gesucht. Alles
geplündert? Vielleicht von sogenannten Investoren.

Schloß und Rittergut
Der Regen wurde immer schlimmer, die Weistritz überflutete schon an
einigen Stellen. Wir waren froh, als wir in Waldenburg ankamen. Dort
sahen wir Rettungsdienste, Leute die Sandsäcke füllten, um tiefer
liegende Häuser vor den Fluten zu retten. Unsere trotzalledem hoch
interessante Rundreise beendeten wir mit Kaffee und einem Imbiss auf
der Terrasse des schönen Häuschen von Andreas Richter in einem
Neubaugebiet in Niedersalzbrunn.
Am Abend Abschiedsfeier mit Tanz und viel Spass im Hotel Sudety. Der
Bürgermeister von Friedland nahm mit daran teil. Karl-Heinz Tschirner
besuchte mich noch an diesem Abend und verabschiedete sich.
Bedauerlicherweise wurde ihm einen Tag vorher in Waldenburg sein Auto
aufgebrochen.
Am Donnerstag (26.Juli 2001) fuhr die Gruppe ins Riesengebirge und über
Schömberg und Friedland zurück nach Waldenburg. Einige Friedländer sonderten sich ab
und auch wir fuhren mit dem Linienbus nach Friedland. Dort schlenderte
wir gemütlich durch die Stadt, kauften für 25 Zloty genügend
Proviant, um drei hungrige zu sättigen, gingen zum Kirchberg, das
Naherholungsgebiet in der deutschen Zeit und machten einen Picnic. Wir
hatten wunderbares Wetter mit Blick zum Heuscheuergebirge und bis hinein
ins 'Biehmsche' (Tschechien). Durch reinen Zufall trafen wir am Ring
unserer Reisebus aus Schömberg kommend. Per "Anhalter" nahm man uns mit
nach Waldenburg.
Zusammenfassung: Ein voller Erfolg, eine lohnenswerte Reise der ersten
Kontaktaufnahme. Die polnischen Kinder und Jugendlichen unbefangen und
freundlich. Polen mittleren Alters zurückhaltend, hilfsbereit und
überwiegend freundlich. Ältere Frauen freundlicher als Männer, diese
vielleicht noch etwas verklemmt oder sogar verbittert. Aber, ist es denn
bei den Deutschen nicht ähnlich?
Einige Polen sprechen von der 'deutschen Zeit', da meint man vor 1945.
Über den Anfang der deutschen Zeitepoche ist man sich noch
unschlüssig. Man tut sich da noch ein bischen schwer, aber ein guter
Anfang. Früher wurde die 'deutsche Zeit' ja vollkommen ignoriert. Mit
einer Vergangenheitsbewältigung tut sich jedes Volk schwer, ganz
gleich ob Polen, Deutsche oder Amerikaner. Dann die jetzige 'polnische
Zeit' und die kommende 'europäische Zeitepoche'. Sicherlich noch ein
langer und steiniger Weg. Aber der Anfang und der gute Wille hat man
gespürt. Man sollte diese Richtung voll unterstützen. Welche andere
Möglichkeit gibt es denn sonst?
Herzliche Grüsse aus Upstate New York,
Guenter